... Shanghai: Die Weisse Pest
Die Weisse Pest - so nennt man in Asien die überall herumliegenden Plastiktaschen. Die weissen, blauen, roten, gelben Taschen sind überall zu sehen. Auf und neben den Strassen, hinter den Häusern, vor den Häusern, im offenen Land, an Telephon- und Strom-Leitungen, in Bäumen. In ganz Asien. Früher wurde vieles in Blätter eingepackt, zum Beispiel in Bananen-Blätter. Die wurden dann weggeworfen. Ohne Schaden für die Umwelt. Als die Plastiktaschen Mode wurden, war das sicher praktisch. Sie wurden weggeworfen, wie einst die Bananen-Blätter. Aber eben, Plastik zersetzt sich verglichen mit Blättern extrem langsam. Wenn überhaupt.
Diese Taschen und Täschchen werden vom kleinsten einheimischen Laden weit draussen im Land bis zu den modernen Supermärkten und Warenhäusern in den reicheren Grossstädten an die Kunden verteilt. Eine besondere Plage sind die ultradünnen Plastiktaschen (0,025 Millimeter). Meist nach einmaligem Gebrauch weggeworfen, verunstalten sie Strassen und Felder. Sie sind auffällig sichtbar eine Landesplage.
Als erstes Land hat Bangladesch vor sechs Jahren gehandelt und die ultradünnen Taschen verboten. Zudem mussten die Geschäfte für die nach wie vor erlaubten festeren Plastiktaschen eine Gebühr erheben. Ein Jahr später folgte Taiwan.
Jetzt hat auch der grösste Plastik-Tüten-Verbraucher und Hersteller der Welt, China, reagiert. Die Produktion von ultradünnen Taschen wird verboten. Verboten deshalb, weil die ultradünnen Taschen in aller Regel nur einmal gebraucht und dann achtlos weggeworfen werden. Für die festern, tragfähigeren Plastiktaschen müssen die Geschäfte vom Kunden neu eine Gebühr verlangen. Noch besser, so ein Regierungssprecher, wäre es natürlich, wenn möglichst viele Leute ihre eigenen Taschen aus Tuch, Leder oder sonst einem festen Material von zuhause mitnähmen. Dadurch könne Energie gespart und etwas für die Umwelt getan werden.
Und in der Tat: Die Kosten für China sind in jeder Beziehung hoch. Täglich nämlich verbraucht die 1,3 Milliarden-Einwohner-Nation sage und schreibe über zwei Milliarden Plastiktaschen. Experten von der Akademie für Naturwissenschaften haben errechnet, dass zur Produktion eines solchen Volumens viel Energie nötig ist: Neben sehr viel Strom sind das jährlich 37 Millionen Fass Rohöl. Umweltschützer wiederum rechnen in Zeitungskolumnen den Chinesen und Chinesinnen vor, dass Plastiktaschen zur Zersetzung bis zu tausend Jahre brauchen, und so die Umwelt langfristig verschmutzen.
Chinas Detaillisten runzeln natürlich die Stirn. Sie befürchten, dass die Konsumenten und Konsumentinnen nur widerwillig etwas für die bis anhin freien Taschen bezahlen wollen. Sie bangen um den Umsatz. Die ersten zwei Wochen in Shanghai beweisen das Gegenteil. Es scheint fast so, als ob die Konsumentinnen und Konsumenten in den reicheren Grossstädten in den letzten Jahren durchaus schon so etwas wie ein Umweltbewusstsein entwickelt hätten. Anstandslos und ohne zu murren bezahlen sie zwischen 0,2 bis 2 Yuan (umgerechnet 2 bis 30 Schweizer Rappen) für eine Plastiktragtasche. Für die Plastiktaschen-Produzenten hingegen wird sich nicht viel ändern. Geschäft ist Geschäft - und was für eines. Für die Stadt Taizhou (Provinz Zhejiang) zum Beispiel. Dort gibt es mehrere tausend Produzenten mit einem Jahresumsatz von rund sechs Milliarden Franken.
Die Behörden geben sich optimistisch: Der Gebrauch von Plastiktaschen werde um zwei Drittel sinken. Der Generalsekretär der Vereinigung der Chinesischen Plastikindustrie ist da etwas vorsichtiger. Von 1,6 Millionen Tonnen pro Jahr werde der Verbrauch auf 1,1 Millionen Tonnen zurückgehen. Immerhin.
Nun hofft man auch anderswo in Asien, dass die Weisse Pest besiegt werden kann. In Hong Kong und Macao, Sonderverwaltungszonen Chinas, denken die Regierenden ernsthaft und laut darüber nach, die neue Regelung tel quel vom Festland zu übernehmen. Aber auch in Vietnam, Kambodscha, Burma, Indonesien oder den Philippinen ist der Handlungsbedarf riesengross. Ein Shanghaier Think-Tank (akademische Denkfabrik) sieht bereits China als Vorreiter und Speerspitze einer neuen, umweltfreundlichen Bewegung in Asien.
Mit andern Worten: Die alte Kulturnation China setzt einmal mehr den allgemein gültigen Massstab.
9. Juni 2008
"Auch die Philippinen haben ein 'Pest'-Problem"
In den Philippinen ist die "weisse Pest" immer noch stark im Anmarsch. Es wird alles in Plastik verpackt, besonders auf den Märkten. Die Warenhauskette NCCC versuchte die Kunden mit einer preisgünstigen Alternative, der blauen NCCC-Tasche zu ködern, indem sie pro Einkauf mit der Tasche Kartenrabatte gab. Das war ein Flop. Wenn ich mit der Tasche im Laden erscheine, muss ich sie aus Sicherheitsgründen am Eingang deponieren und verlasse den Laden mit einer Plastiktüte. Die kann ich dann in die Stofftasche versorgen.
Hier in Puerto Princesa, der so genannt saubersten Stadt der Philippinen, regiert momentan der Bürgermeister Hagedorn. Er ist ein strenger Umwelt-Aktivist. Dank ihm werden Schulklassen in Recycling gelehrt und in Aktionen angeheuert, um Strassen und Strände zu säubern. Die Schüler tragen das Wissen nach Hause, und so wird auch das Interesse der nächsten Generation auf das immer grösser werdende Problem geweckt. Die Barangay-Captains beginnen die Bewohner zu sensibilisieren und ordnen Säuberungsaktionen an. Die Plastiksäcke werden nun auch vermehrt als Abfallbehälter benutzt und dann in die grünen Abfallboxen, die an jeder Ecke stehen, gratis entsorgt. Noch bevor der städtische Abfallwagen heranrauscht, werden die noch recyklierbaren Abfallgüter von Schülern und Erwachsenen herausgefischt und bei den privaten Verwertungsstellen für ein paar Pesos verkauft. Der jüngste Strassenwischer in Puerto ist gerade 8 Jahre alt und hilft, den Schulsack noch auf dem Rücken tragend, seiner Mutter nach der Schule die ihr zugeteilten Strassenzüge zu reinigen. Er will auch mal ein echter Strassenwischer wie seine Mutter werden, wie er mir ernst versicherte. Er ist nicht der Einzige. Überall hat es Jungs, die freiwillig am verkaufbaren Schrott sammeln sind für ein paar Peso Sackgeld oder um die Familie zu unterstützen. Ja, hier ist noch einiges anders.
Erich Bachmann, Puerto Princesa, Philippinen