... Peking: Traum und Tatsachen
Rückkehr aus Shangri-la, Rückkehr aus dem Verlorenen Paradies. Doch selbst in der dünnen Luft auf über 3'000 Metern Höhe und vier Flugstunden von der chinesischen Hauptstadt entfernt, ist der olympische Geist noch fassbar. Das ganze Gebäude des Schangi-la-Flughafens ist mit olympisch inspirierten Bildern und aufbauenden Sinnsprüchen geschmückt. Unübersehbar auch hier der im Reich der Mitte omnipräsente Slogan: "Eine Welt – Ein Traum".
Rund vier Wochen nach dem Ende der Olympischen Spiele überwiegt in Peking noch immer der Stolz. Worauf, fragen etwas ratlos ausländische Touristen, die jetzt wieder langsam ins Land strömen. Stolz darauf zum Beispiel, dass China perfekte Spiele organisiert hat und dass das im Ausland auch anerkannt wird. China ist wieder dort – so die weit verbreitete Auffassung – wo das Reich schon einmal war, bevor innere Schwäche, vor allem aber ausländische Einmischung westlicher Kolonialmächte und Japans im 19. und 20. Jahrhundert, Niedergang, Schmach und Machtverlust brachten.
Politikwissenschafter Wang Yushen, formulierte das in einem Kommentar der regierungsoffiziellen Tageszeitung "China Daily" so: "Die erfolgreiche Organisation der Olympischen Spiele in Beijing hat dem Land neuen Respekt gebracht. Der Welt wurde eine charismatische, geeinte asiatische Nation gezeigt. Ein historischer Wandel resultiert daraus in Bezug auf Chinas Status und auf Chinas internationales Image. Das wiederum wird die Entwicklung des Landes weiter fördern, und das Volk wird mithin optimistischer an die Arbeit gehen". Wang fügt dieser sehr optimistischen Einschätzung jedoch noch eine Warnung hinzu: "Obwohl der Erfolg der Olympischen Spiele China ins internationale Scheinwerferlicht gestellt hat, sollten wir bescheiden bleiben und uns der künftigen Probleme bewusst sein. Wir sollten uns in internationalen Angelegenheiten nicht eine Überlegenheits-Mentalität aneignen, sondern friedlich und harmonisch mit dem Ausland koexistieren."
Für Partei und Regierung, aber auch für die meisten Chinesen und Chinesinnen sind die Olympischen Spiele nach dreissig Jahren Reform also so etwas wie ein Leuchtturm auf dem langen Weg zu noch grösseren Erfolgen. Und dieser Weg wird friedlich sein – das wenigstens ist die Botschaft des Slogans "Eine Welt – Ein Traum". Ob das im Ausland auch so ankommt, ist eine ganz andere Frage, die erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beantwortet wird.
In der Zwischenzeit gehen die Pekinger, wie wenn nichts geschehen wäre, zur Tagesordnung über. Sie geniessen die noch relativ frische Luft, Folge umfassender Verkehrsbeschränkungen und Fabrikschliessungen. Die Stadtregierung hat vor den Spielen das Blaue vom meist umweltverschmutzten Pekinger Himmel versprochen. Die Luft werde – so das Versprechen – auch nach Olympia und nach Aufhebung der Verkehrsbeschränkungen und der Wiederinbetriebnahme der Fabriken besser als je zuvor. Die Pekinger Stadtväter versteigen sich in der Regel nicht leichtfertig zu solchen Versprechen. Peking gilt als Modell fürs ganze Land. Kommt hinzu, dass mit den Pekingern – auch im geltenden autoritär-konfuzianischen Regierungssystem der Roten Mandarine – nicht zu spassen ist. Sie sind nicht aufs Maul gefallen und können ihren Unmut durchaus artikulieren, selbst dann, wenn wie in Peking und China öffentliche Demos verboten sind.
Dass die Olympischen Spiele und – nicht zu vergessen – die Paralympics für die Behinderten so reibungslos, erfolgreich und durchaus auch fröhlich über die Bühne gegangen sind, ist für die so abergläubischen Chinesen ein gutes Omen für die Zukunft, hat doch das Jahr 2008 mit Winterstürmen, Unruhen in Tibet und dem Erdbeben in Sichuan denkbar schlecht angefangen. Der Laobaixing, der Durchschnitts-Chinese und Durchschnitts-Pekinger, orientiert sich jetzt wieder ganz pragmatisch und praktisch am Alltag. Schon für den grossen Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping (1904-1997) galt ja die Formel: "Die Wahrheit in den Tatsachen suchen."
Tatsache für die Pekinger sind derzeit bessere Luft, besserer Öffentlicher Verkehr, mehr Anerkennung von aussen und ein gesteigertes Selbstwertgefühl. Darauf, das hoffen auch die allmächtigen Roten Mandarine, kann erfolgreich eine friedliche Zukunft aufgebaut werden. Ein Traum?
22. September 2008