... Kungyangon: Propaganda und Realität
Dieser Brief kommt aus der Nähe von Kungyangon, einer mittelgrossen Stadt südwestlich der 5-Millionen-Metropole Yangon (Rangoon) im Ayeyawady-Delta. In Kungyangon sind über zweitausend Menschen ums Leben gekommen. Weiter westlich in Bogale hat der Zyklon "Nargis" Zehntausend Menschen getötet. Im südlichen Burma sind über zwei Millionen Menschen betroffen. Hunderttausende sind obdachlos, leiden Hunger, haben - wenn überhaupt - nur wenig sauberes Trinkwasser und von medizinischer Sorge ist keine Rede. Nach offiziellen Angaben sind 78'000 Tote und 56'000 Vermisste zu beklagen. Die UNO geht von noch höheren Opferzahlen aus.
Angesichts solch massiven menschlichen Elends ist es selbst für einen erfahrenen Journalisten schwierig, in aller Ruhe einen Brief zu schreiben. Zyklon "Nargis" habe ich in Yangon erlebt. Am Tag danach Tod und Zerstörung überall. Ähnliches habe ich nur in Bandah Aceh nach dem Tsunami vor dreieinhalb Jahren erlebt. Allerdings mit einem grossen Unterschied: Dort haben damals die Militärs sofort reagiert. Die Armee ist zu Rettungsarbeiten abkommandiert worden, ausländischer Hilfe und internationalen Helfern wurde unbürokratisch Zugang zum Krisengebiet gewährt, obwohl bis zum Tsunami in Aceh ein blutiger Bürgerkierg ausgefochten wurde und das Gebiet deshalb gesperrt und unzugänglich war. Auch ausländische Journalisten waren damals willkommen.
Ganz anders in Myanmar (Burma). Auch zwei Wochen (18. Mai) nach der Katastrophe wird in den burmesischen Medien so berichtet, wie wenn alles unter Kontrolle wäre. Die Regierungszeitung "Licht von Myanmar" zum Beispiel ist voller Beiträge, die den Eindruck erwecken, dass die Generäle des "Staatsrats für Friede und Entwicklung", die Geschäftsleute und das Volk an einem Strick ziehen. Katastrophenhilfe und Wiederaufbau, heisst es in einem eine ganze Zeitungsseite ausfüllenden Kommentar, würden planmässig und erfolgreich durchgeführt. Ausländische Hilfe in Gütern und in Geld seien hoch willkommen, aber der Wiederaufbau werde von Burmesinnen und Burmesen im Geiste der Selbstverantwortung ausgeführt. Ausländische Helfer seien nicht nötig. Und das bei weit über 100'000 Toten, über einer Million Obdachlosen und Mangel überall. Notabene in einem Land, das schon zu normalen Zeiten zu den allerärmsten der Welt zählt.
Das Elend im Ayeawady-Delta habe ich ein erstes Mal in der Nähe von Kungyangon beobachtet. Dort sind über 2'000 Menschen ums Leben gekommen. Soldaten und Zivilisten versuchen das Menschenmögliche, um zu helfen. Nur wenige Kilometer weiter südlich verzweifelte Menschen ohne jeglich Hilfe.
Drei andere Ortschaft im Delta wollte ich besuchen. Mit zwei Sack Reis und acht grossen Wasserflaschen im Kofferraum des Autos ging es von Yangon Richtung Süden. Die erste Polizeikontrolle war kein Problem. Bei der zweiten war es dann soweit. Ein der Polizeisperre zugeteilter Soldat sagte bestimmt, aber höflich: "Keine Ausländer!". Der Burmese neben mir könne weiterfahren und Reis und Wasser verteilen. Ausländische Helfer also sind im Katastrophengebiet nicht erwünscht. Sie könnten die Realität hinter der Propaganda entdecken.
Einen Tag später ist es mir dennoch gelungen, ins Delta zu kommen. Zunächst mit dem Auto, dann mit einem Boot. An der Küste drei kleine Ortschaften. Fischer. Ein Dorf mit 50 Familien, rund 300 Menschen, ist völlig zerstört. Nur 120 Menschen haben die von Zyklon Nargis ausgelöste Flutwelle überlebt. Die meisten Toten sind mittlerweile beigesetzt worden. Doch noch immer gibt es Tierkadaver und einige Leichen im Wasser. Der Geruch verwesenden Lebens liegt in der Luft.
Der Dorfvorsteher ist ratlos und hat Tränen in den Augen. "Keinerlei Hilfe haben wir erhalten", sagt er, "manchmal sahen wir am Himmel einen Helikopter, manchmal vor der Küste ein Schiff. Aber all unser Winken hat nichts genützt". Gerade noch für wenige Tage reichten die knappen, rationierten Reis-Rationen. Der vor wenigen Tagen eingesetzte Monsunregen habe wenigstens etwas Gutes, nämlich dass man das gesammelte Wasser trinken könne. Während der Dorfvorsteher spricht, weint seine Frau neben ihm.
Selbst für einen abgebrühten Reporter ist das eine emotional schwierige Situation. Im Katastrophengebiet des Ayeawady-Deltas scheuen sich nur noch wenige, mit einem Ausländer zu reden und klar ihre Meinung zu sagen. Was ich anderswo in den letzten zwei Wochen gehört habe, sagt auch der Vorsteher jenes Dorfes an der Küste, das so sehr gelitten hat und noch immer leidet: "Das werden wir den Generälen nie verzeihen. Niemals! Verbreiten sie diese Nachricht! Wir hier haben keine Angst mehr. Wir haben nichts mehr zu verlieren."
Mittel- und Längerfristig werden die Auswirkungen der Katastrophe für die Militärs schwerwiegende Flogen haben. Es sei denn, die in westlichen Medien lachend gezeigten Männer in den dunkelgrünen Uniformen können dem Volk sehr bald nicht nur mit Propaganda-Worten, sondern auch mit Taten beweisen, dass sie etwas fürs Volk tun. "Sonst sind die Militärs immer schnell zur Stelle, wenn es gilt, uns zu massregeln", sagte in einem Strassenkaffee im Norden des Katastrophengebietes ein Reishändler. Von seinem freundschaftlichen Nachbarn wurde er sofort diskret zum Schweigen gebracht. Man weiss nämlich nie, ob der Herr mit der Tasse Tee in der Hand gleich nebenan nicht ein Zuträger des Geheimdienstes ist.
Was in Burma derzeit zu erleben ist, steht nicht nur in einem starken Kontrast zu Aceh nach dem Tsunami-Desaster. Auch China steht nach dem Erdbeben in Sichuan unter einem Schock. Aber was für ein Unterschied! Er könnte grösser nicht sein. China und Burma - zwei autoritäre Regimes. Und dennoch: Angesichts von Katastrophen und unsäglichem menschlichem Leid grundsätzlich verschiedene Antworten.
China ist auf Katastrophen vorbereitet. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen alles schön geredet wird. Gegenüber dem eigenen Volk genau so gut wie gegenüber dem Ausland. Beim letzten grossen Erdbeben in Tangshan 1976, rund 100 Kilometer östlich von Peking, vergingen Wochen, bis die Welt das Ausmass der Katastrophe erfuhr. Damals kamen über 300'000 Menschen ums Leben. In der Zwischenzeit hat China viel gelernt. Was sich auch geändert hat, ist die Transparenz, wie das Erdbeben in Sichuan zeigt. Ausländische Journalisten haben freien Zugang zum Katastrophengebiet. Selbst negative Nachrichten wie Risse in Staudämmen oder mangelnde Bauqualität eingestürzter Häuser werden nicht mehr verschwiegen.
Die Regierung zeigt zudem Gesicht. Premierminister Wen Jiabao und Staats- und Parteichef Hu Jintao sind in Sichuan, beobachten die Rettungsarbeiten und spenden Trost. Das ist beileibe nicht nur Show. Vielmehr zeigt es alte konfuzianische Tugenden: Die Regierung kümmert sich ums Wohlergehen des Volkes.
Natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass kurz vor den Olympischen Spielen in Peking im August das - wegen Tibet angeschlagene Image Chinas - aufpoliert wird. Aber, und das ist ein ganz grosses Aber, Pekings rote Mandarine reagieren unbesehen der Spiele jetzt für das Wohl des Volkes.
In Burma ist alles anders. Die Staatsmedien versuchen dem Volk zu suggerieren, das alles unter Kontrolle sei. Premierminister General Thein Sein wird bei Rettungsaktionen gezeigt, und unzählige hohe Militärs werden am Staatsfernsehen Hände schüttelnd und Frauen und Kinder tröstend porträtiert. Doch niemand in Burma glaubt das wirklich. Burma ist - anders als China - schlecht vorbereitet auf Naturkatastrophen, obwohl es doch in einem gefährdeten Gebiet liegt. Noch Stunden bevor Zyklon "Nargis" Süd-Burma verwüste, gab es keine dringende Warnung. Und dies, obwohl der indische Wetterdienst die Regierung in Burma gewarnt hatte.
Die Militärs wollen der Welt jetzt seit Tagen beweisen, dass Burmesinnen und Burmesen selbstgenügsam sind und die Situation allein bewältigen können. Alles unter Kontrolle. Das Wohl des Volkes ist für die in der mit Milliardenbeträgen neu errichteten Hauptstadt Naypyidaw residierende Generalität ganz offensichtlich kein Thema. Die Uniformierten leben in einer andern Realität.
Wo die Prioritäten der burmesischen Regierung liegen, zeigt die Schlagzeile der Regierungszeitung "Licht von Myanmar" am 17. Mai, genau zwei Wochen nachdem "Nargis" das Delta und Yangon zerstörerisch überquert hat. Der Aufmacher ist betitelt: "Der Nummer-1-General Than Schwe gratuliert dem Norwegischen König zum heutigen Nationalfeiertag."
19. Mai 2008