Das ist die Kehrseite des freien Welthandels
Bundesrätin Doris Leuthard hat sich an der Konferenz der WTO in Genf für einen weiteren Abbau der Handelsschranken eingesetzt und das Scheitern der Verhandlungen bedauert. Vielleicht ist aber die Zeit gekommen, um anders, das heisst weniger ideologisch über die sogenannte Liberalisierung und Ausweitung des Welthandels zu denken. Der freie Welthandel ist zu einem Glaubensbekenntnis geworden, zu einem Fundamentalismus, an dem es nichts zu rütteln gibt. Er ist unanfechtbar. Wer damit nicht einverstanden ist, richtet Schaden an.
Noch mehr Handel heisst jedoch: Mehr Verschleiss von Ressourcen, mehr Zerstörung wie zum Beispiel durch den Sojaanbau in Brasilien auf Kosten der Tropenwälder, mehr Transporte, die auch Schäden verursachen. Es ist kein kluger, vorausschauender Akt, die eigene Landwirtschaft zu vernachlässigen, Nahrungs- mittel zu importieren, sich vom Ausland abhängig zu machen und dafür der Exportwirtschaft neue Märkte zu erschliessen, mit den Nachteilen, die bekannt sind.
Diese Liberalisierung des Welthandels stellt sich in zunehmendem Mass als globales Regulierungswerk heraus.
Die globalisierte Welt ist eine Tatsache, und man muss das Beste daraus machen. Aber da ist ungefähr so, wie wenn man sagen würde: Natürlich gibt es Krieg oder Prostitution und Frauenhandel, aber wir arrangieren uns, so gut es geht. Handel mache aus Feinden Verbündete, sagte Adam Smith vor mehr als 200 Jahren. Damals wurden noch keine Kartoffeln und grünen Bohnen als Flugfracht aus Ägypten nach Europa transportiert.
Dass wir Nahrungsmittel aus Ländern einführen, in denen Mangel, wenn nicht Hunger herrscht, ist ein Parallelschauplatz des Problems. Und jetzt soll in diesen Ländern die Produktion und der Export von landwirtschaftlichen Gütern gesteigert und zu einem Geschäft gemacht werden?
Der sogenannte freie Handelsverkehr ist in der global abhängigen Welt von heute zu einem Mittel der gegenseitigen Erpressung geworden. Investoren werden zu Bittstellern und die Potentaten in den Investitionsländern verbreiten ihre Selbstherrlichkeit. Manchmal geben auch die Investoren den Tarif durch. Neue Märkte, neue Investitionen sind zunehmend nur noch in totalitären Ländern möglich und gehen auf das Konto von Menschenrechten, Lohndumping und ökologischen Schäden, die im Namen der heiligen Handelsfreiheit in Kauf genommen werden.
Die Ausweitung des Welthandels verdirbt den Charakter und überfordert den Planeten.
Ein anderes Argument für den Welthandel lautet, er bekämpfe die Armut. Wenn jedoch Armut oder der immer krasser hervortretende Unterschied von Arm und Reich die Folge des liberalisierten Welthandels ist, was nur die Ökonomen vom Dienst nicht wahr haben wollen, dann kann die gleiche Methode nicht zum gegenteiligen Ergebnis führen und den Wohlstand vermehren.
Die Armut in der Welt ist nicht das Ergebnis von zu wenig Welthandel, sondern von einer falschen Verteilung.
Gefrässigkeit und globaler Gigantismus leiten Handel und menschliches Handeln. Zuletzt schränken sie den Spielraum ein.
Weniger Begehrlichkeiten würden vieles ändern. Wir könnten uns mehr zurücklehnen, die Beine ausstrecken und den Tag geniessen.
18. August 2008
"Wir leiden unter einem Demokratie-Exzess"
Aurel Schmidt hat Recht mit der Kritik, dass die alten Demokratien den freien Handel mit undemokratischen Staaten ohne politische Bedingungen fördern. Die Frage ist also: Wie bewirkt man einen Wandel, hin zu globalem staatlichem Respekt vor den Menschen und ihren damals am 26. August 1789 zu Paris verbrieften, unabdingbaren Rechten?
Zulässig scheint mir, anlässlich der Beantwortung dieser Frage, die Kritik der Staaten östlich von Europa, dass wir hier, also im Westen Europas, tendenziell unter einem Demokratie-Exzess leiden. Ein Exzess, der eine Art psychotherapeutische Funktion erfüllt und die hoch gehaltene Freiheit der Einzelnen eventuell nachhaltiger einschränkt, als dies in den politisch unfreien Staaten östlich von Europa der Fall ist. Bar jeden Zweifels kann die Frage nicht einfach oberflächlich dergestalt beantwortet werden, dass man sich unserem System anzupassen hat. Das wäre so arrogant, wie ignorant.
Patric C. Friedlin, Basel