Noam Chomsky – unbestechlicher Kritiker
Der am Massachusetts Institute of Technology tätige amerikanische Linguist Noam Chomsky ist heute der unbeugsamste, unbestechlichste, beharrlichste Kritiker der Vereinigten Staaten.
Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zur "generativen Grammatik", die besagt, dass mit einem Minimum an Regeln unendlich viele Variationen sprachlicher Art hergestellt werden können, lässt er sich regelmässig zur Tagesaktualität vernehmen. Er hat den mörderischen Krieg der USA in Vietnam scharf kritisiert; er hat die Politik der USA in Lateinamerika angeklagt, zum Beispiel den Sturz des demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende oder die Unterstützung der sogenannten Contras in Nicaragua; er hat die Politik Israels im Verbund mit den USA gegenüber der palästinensischen Bevölkerung und die von Israel und den USA hintertriebenen Friedensverhandlungen unerbittlich gebrandmarkt (als Jude war er dafür die richtige Person); er hat auf einige unangenehme Tatsachen zum "11.September" aufmerksam gemacht; und er hat zuletzt den Einmarsch der USA in den Irak zu einem seiner dominierenden Thema gemacht.
Ein weiterer Gegenstand von Chomskys Agenda war der beängstigende Einfluss der privaten Medien auf die öffentliche Meinung und die mediale "Fabrikation von Konsens" (siehe dazu die Bücher "Media Control" und "Wege zur intellektuellen Selbstverteidigung"). Die Mehrheit der Bevölkerung denkt anders als die Regierung in Washington und würde auf der Stelle andere Entscheidungen treffen, wenn sie dazu Gelegenheit hätte, was nicht der Fall ist, stellt Chomsky dazu fest. Was in den USA geschieht, ist die politische und wirtschaftliche Interessenvertretung der besitzenden Minderheit. Von Anfang an waren die USA konstitutionell eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die Menschen Zuschauer sein sollten, aber keine aktiven Teilnehmer an der Geschichte, ausser natürlich der Oberschicht.
Was Chomsky betreibt, ist Sprachkritik, nicht etwa deshalb, weil er Linguist, sondern weil er ein politisch denkender Mensch ist. Er achtet darauf, was die Menschen sagen und was das, was sie sagen, zu bedeuten hat, was zwei verschiedene Dinge sind.
Sein jüngstes in deutscher Sprache vorliegendes Buch "Interventionen" (Edition Nautilus) geht unter anderem auf amtliche und offizielle Sprachverdrehungen ein, die besonders gravierend ausfallen, wenn die USA sich selbst ermächtigen, ihre Interessen durchzusetzen. Wenn die Vereinigten Staaten dem Irak den Rat geben, "die Ölindustrie des Landes wie ein Geschäftsunternehmen umzustrukturieren", dann heisst das, die Kontrolle über die irakischen Erdölvorkommen am besten den US-amerikanischen und britischen Konzernen zu überlassen. Mit "Weltordnung" wiederum ist die Ordnung der Welt gemeint, gelegentlich auch "Freihandel" genannt, die den US-Unternehmen den Zugang zu Märkten, Ressourcen und Investitionsmöglichkeiten öffnet.
Chomskys Scharfsinn und seine Schlagfertigkeit sind beeindruckend, ebenso der Umstand, dass er über ein profundes Wissen und offenbar über ein lückenloses Gedächtnis verfügt, das ihm erlaubt, auf Ereignisse hinzuweisen und detailliert aus Berichten und Äusserungen von Vertretern der politischen Klasse zu zitieren. Es genügt dann, diese Aussagen beim Wort und zum Nennwert zu nehmen, damit alles klar ist.
Noam Chomsky ist ein unermüdlicher Kämpfer für eine Welt, die er als gerecht erkennt. Seine moralische Integrität steht ausser Zweifel. Er wird am kommenden 7. Dezember 80 Jahre alt.
1. Dezember 2008
"Danke"
Präzise, sachlich, treffend. Danke.
Dieter Hagenbach, Basel