Alle hatten ihre Finger im Kuchen
Es war ein tolles Stück, wie die 2,2 Billionen Euro von Deutschland, Frankreich und Grossbritannien zur Wiederherstellung des Vertrauens in die abgezockten Finanzmärkte geholfen haben, die Kurse vor dem totalen Absturz zu bewahren. Vielleicht ein neues Rezept für die Finanzindustrie, aber lassen wir das.
Analysten, Rating-Agenturen und Kommentatoren haben schon genug eingebettete Meinungen von sich gegeben. Wenn die Begriffe und die Sprache nicht stimmen, müssen die Handlungen scheitern, lehrte Konfuzius. Die groteske Meinungskakophonie hat die sogenannte Krise zu einem wesentlichen Teil mitverschuldet. Vielleicht geht das System des selbstregulierten (in Wirklichkeit deregulierten) Kapitalismus zu Ende, aber sicher ist es nicht. Sogar die Schweiz will nach ihren finanziellen Zusagen an die UBS ein Wörtchen mitreden, aber warten wir ab, bis sich die Lage einigermassen stabilisiert hat und die Maulwürfe sich wieder aus den Löchern hervorwagen.
Jetzt zu etwas anderem: Zur Hauptfrage, wie diese Krise, diese weltweite Erschütterung eintreten und die Finanzindustrie ihren Kredit verspielen konnte.
Die hochgestapelten Versicherungen des Kapitals waren ein glatter Betrug, das Paradies, wo die Esel wie im Märchen der Brüder Grimm Geld scheissen und die Bäume in den Himmel wachsen, war ein hohles Versprechen. Aber warum haben alle trotzdem unerschütterlich daran geglaubt und mitgemacht? Alle hatten ihre Finger im Kuchen.
Hoch getrimmte, aber unrealistische Wachstumsziele, markt- und konkurrenzbedingte Risikogeschäfte und exzessive Anreizsysteme waren nur der praktische Teil des Ganzen. Den Raidern und Heuschrecken standen auf der anderen Seite die Schnäppchen-Jäger im Supermarkt und Warenhaus gegenüber. Möglichst viel für sich herausholen, wenn nötig auf Kosten der Anderen, möglichst viel profitieren, war die Devise. Ich bin doch nicht blöd!
Es muss sich hier um ein Mentalitätsproblem handeln, um eine tief im Denken vieler Menschen veranlagte Einstellung, die glatt übersieht, dass es nichts umsonst gibt; dass alles seinen angemessenen Preis verdient; dass Aufwand und Ertrag in einem reziproken Verhältnis stehen müssen, wie Marcel Mauss in seinem Hauptwerk "Die Gabe" in Bezug auf Geben und Nehmen, auf Gabe und Gegengabe, auf das Prinzip Tausch als Grundlage menschlichen Verkehrens gezeigt hat.
Das ist nicht Moral, sondern Ökonomie. Übersehen wurde zuletzt beziehungsweise von allem Anfang an, dass alles eine reale Grundlage braucht. Was das Denken pervertiert hat, war ein riesiger Realitäts- und Sinnverlust, der die Simulationen und Simulakren des Börsenkapitalismus verursacht und die Welt in eine Spielhölle, in ein Casino verwandelt hat.
Worum geht es also? Sicher nicht um den Umbau des Finanzsystems, wie die Maulwürfe bereits wieder tuscheln, sondern um eine Neuorientierung des Denkens; um die Fähigkeit zu bewerten, worauf es ankommt und worauf nicht; um eine neu fundierte Lebenseinstellung. Der grosse Michel de Montaigne meinte, "das eigene Sein auf rechte Weise zu geniessen". Der weit verbreitete mediale Wahnwitz von Börse, Werbung und Unterhaltungsindustrie jedoch ist nur dazu bestimmt, die Menschen einzuseifen.
17. Oktober 2008
"Getäuscht und angelogen"
in dieser Kolumne, die eine deutliche Sprache spricht, vermisse ich das Wort "Lüge", ich meine, dass bei so vielen Unstimmigkeiten viele "Lügner" am Werk waren. So geschehen auch an der ausserordendlichen Generalversammlung der UBS am 2. Oktober 2008
Nach den Pressemeldungen über das Rettungspaket für die UBS, das vor langer Zeit mit den Behörden vorbereitet wurde, haben die Verantwortlichen der UBS anlässlich der ausserordentlichen Generalversammlung am 2. Oktober über den erneut desolaten Zustand ihrer Gesellschaft Bescheid gewusst.
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der UBS haben aber mit ihrem verbreitetem Optimismus und den vorausgesagten guten Geschäftsaussichten ihre Aktionäre und die Öffentlichkeit getäuscht angelogen. Mit Lügen gewinnt man kein Vertrauen, auch in der Bankenwelt nicht.
Rolf Schneeberger, Riehen
"Rettet die Freiheit vor ihren Beschützern"
Können Sie sich erinnern an die Rufe gewisser PolitikerInnen nach mehr Selbstverantwortung und weniger Staat? Gleichzeitig wurde der Markt hochstilisiert zur alles regelnden Instanz. Die Erinnerung fällt nicht schwer, ertönten die Rufe doch bei jeder Gelegenheit und waren lange genug Motto einer zu simplen Politik, welche letztlich verursacht, was sie zu verhüten vorgibt. Denn nun deckt die Finanzkrise unmissverständlich und schmerzlich den Widerspruch auf, welcher diesen Rufern zur Last gelegt werden muss: Delegation der Regelungsmacht an eine äussere Instanz - den Markt - hat mit Verantwortung nichts zu tun, am wenigsten aber mit Selbstverantwortung!
Der Finanzkrise zu Grunde liegen fünf Einflussgrössen:
- die Macht der grossen Summen
- das Risiko, welches im Verhältnis zu diesen Summen progressiv ansteigt
- die Konkurrenz - als Code, welcher die Finanzwirtschaft beherrscht
- die Gier nach dem Haben, als übersteigerter Wunsch nach Zugehörigkeit bzw. die Angst vor dem Ausschluss
- sowie die Freiheit, zu tun, was beliebt.
Der Mix dieser Essenzen führte zu einer Expansion der Kredit- bzw. Spekulationswirtschaft und der dabei entstandene Überdruck überforderte das nach Gleichgweicht strebende soziale System. So blieb es nur noch eine Frage der Zeit, wann der Vertrauensfaden reissen würde, welcher das Ganze
- erstaunlich lange - zusammenhielt. Zu erwähnen bleibt, dass das politische System den Handlungsbedarf nicht erkannte oder ignorierte und die Handlungsmacht je länger desto definitiver an das kollabierende Finanzsystem abgegeben hatte.
Erstaunen muss nun, dass die Politik - von der Krise völlig überrascht - ausgerechnet die selben Mittel ins Spiel bringt, welche zur Krise geführt haben:
- sie versorgt das Finanzsystem mit weiteren Krediten, welche in ihrer Summe reichlich inflationär erscheinen
- sie verschafft sich einen Bonus in Form eines 12,5-prozentigen Zinses, knapp kein Wucherzins
- sie informiert, auch hier das Bankensystem nachahmend völlig desorientiert
- das Handeln selbstherrlich und jede demokratischen Spielregeln ausser acht lassend. Rechtfertigung: Zeit!
Ich habe Mühe, den sich wiederholenden Denkmustern mein Vertrauen zu schenken. Es fehlt ihnen an Vielfalt - deren Bedeutung erkennt man erst an ihrem Gegenteil - der Einfalt.
Bruno Rossi, Gelterkinden