Hinter jeder Nachricht verbirgt sich eine andere
Im Krieg beziehungsweise Konflik zwischen Georgien und Russland weiss ich nicht, was sich wirklich abspielt. Es kommt wie beim Kopenhagener Modell in der Quantenphysik darauf an, was gesucht wird: Georgien oder Russland? Die Frage determiniert bereits die Antwort. Die Grossmachtspolitik Russlands lässt mich unmissverständlich Partei für Georgien ergreifen. Nur ist das bereits Interpretation. Aber etwas Anderes ist gar nicht möglich.
Um ein Urteil abzugeben, ist ein Wissensvorsprung erforderlich. Dass im Fall Georgiens die Webseite des Landes von Russland (von wem sonst?) attackiert wurde, ist ein Nebenschauplatz im Informationskrieg. Sich an amtliche Verlautbarungen zu halten, kann kaum der Weisheit letzter Schluss sein. Die Regierungen reden in eigener Sache. Das meiste Gesagte ist ohnehin Propaganda, Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit, unter Umständen sogar im Dienst einer guten Sache. Aber es bleibt, was es ist.
Das ist das grundsätzliche Problem der Informationsbeschaffung. Jede Nachricht ist falsch oder gelenkt, weil hinter jeder eine Absicht steckt, die nicht kommuniziert wird. Bei Wikipedia muss man doppelt aufpassen, weil Einträge im eigenen Interesse geschönt werden können, wie dies angeblich im Fall der Vizepräsidenten von US-Präsidentschaftsanwärter John McCain, Sarah Palin, geschehen sein soll.
Un train peut en cacher un autre, steht auf französischen Bahnhöfen. Das kann man von der Information auch sagen: Bei allem, was ich lese, muss ich mich fragen, was gemeint ist. Viele Nachrichen wirken sich zum Beispiel direkt auf die Börse aus. Und wenn zum Beispiel die Medien über den geringen Leerwohnungsbestand berichten, könnten die Vermieter eine Mietzinserhöhung im Sinn haben. Man will gutes Wetter machen, wie der Kanton Wallis einmal eine "tourismusgerechte" Wetterprognose einführen wollte (mit schönem Wetter). Wir haben es hier mit dem Unterschied von öffentlicher und veröffentlichter Information zu tun.
Die Medien halten sich mit Vorliebe an das Spektakel der Grossen. Verdeckte Operationen werden selten kenntlich gemacht, ausser vom Enthüllungsjournalismus. In einer Zeit, wo jede Institution ihre Interessen im Internet ungefiltert verbreiten kann und in Blogs und Foren ein undurchsichtiger Überfluss an zumeist anonymen Meinungen herrscht, ist jeder Information und jeder Nachricht mit gehöriger Skepsis zu begegnen. Jede Information muss durch eine Gegeninformation einem Crosscheck unterzogen werden.
Durch Information wird Wissen erlangt, und Wissen ist ein gesellschaftlicher Kampf, aber wer lenkt diesen Kampf? Wer vertritt welche Interessen? Worüber berichten die Medien und worüber nicht? Was lassen sie aus, und wie kann man es herausfinden? Warum steht der Wirbelsturm in New Orleans gross auf der Titelseite und die Überschwemmungen in Indien und Bangladesh unter faits divers? Wer beherrscht die Medien - und mit welchen Absichten?
Wir werden es nur selten erfahren. Die so oft versprochene Objektivität ist selbst eine subjektive Einstellung. Daran ist nicht einmal viel auszusetzen. Aber es verlangt, jede Nachricht, jede Aussage (auch diese) kritisch zu hinterfragen und zu bewerten. Das garantiert keine Wahrheit, ist aber eine unumgängliche Voraussetzung.
29. September 2008