Fortschritt durch Reduktion
Neuntausend Kilometer haben Milch, Früchte und Plastik zurückgelegt, bevor ein Becher Yoghurt im Kühlschrank angekommen ist. "Le Monde" hat die Zahl kürzlich veröffentlicht. Kartoffeln werden zum Waschen kreuz und quer durch Europa gekarrt, Mineralwasser ist Hunderte von Kilometern von A nach B und von B nach A unterwegs. Wir haben keinerlei Zweifel, dass das ein absoluter Unsinn ist. Trotzdem geht es munter so weiter.
Die Gründe für diese verkehrte Entwicklung liegen auf dem Tisch. Das globale Handeln kennt keine Schranken. Wenn die Belegschaft bei Volkswagen nicht mehr Wochenstunden ohne Lohnausgleich arbeitet, wird die Produktion in die Slowakei ausgelagert. Die Wirtschaftsführer verhalten sich wie Condottieri. Je globaler sie denken, desto räuberischer und zerstörerischer handeln sie und desto mehr steigen notabene die Gewinne.
In Südspanien boomt die Gemüseproduktion, aber das Grundwasser geht zurück. Das Eis der Polarkappen schmilzt, Überschwemmungen nehmen immer ärgere Formen an, die Berge stürzen auf die Strassen und blockieren den Verkehr. Gleichzeitig schreitet, fast paradoxerweise, die Desertifikation, die eine richtige Verwüstung ist, voran. Klimawandel und Treibhauseffekt lassen sich nur unter enormen intellektuellen Verrenkungen verdrängen. Walfangverbote werden übergangen (unter anderem von Norwegen) und mit Forschungszwecken begründet, Gifte im Trinkwasser neuerdings als "Fremdstoffe" bezeichnet, die Regenwälder des Amazonas vernichtet, um Soja anzubauen. Es wird als Tierfutter zur Fleischproduktion für die Reichen und Satten gebraucht.
Die Wirtschaftszahlen in China lassen unsere Ökonomen vor Neid erblassen. Geht es aber um die ökologischen Folgen, haben sie Reissaus genommen. In China sollen sich die Schäden auf 200 Milliarden Dollar belaufen. Wenn die Gewinne untereinander verteilt sind, bezahlen die Zurückgebliebenen die Zeche.
Das alles ist bis zum Überdruss bekannt. Wir kennen die Ursachen und wissen, was zu tun ist. Aber wenn zum Beispiel die Automobilisten wegen des Smogs etwas langsamer fahren sollen, erhebt sich gleich ein empörter Aufschrei über die bedrohte Freiheit in diesem Land.
Zwei Einsichten drängen als Folge dieses Szenarios auf. Erstens: In einem geschlossenen System gibt es keine Zunahme, nur Verschiebungen und Verlagerungen. Zweitens: Der ökonomische (jedoch falsch kalkulierte) Erfolg bestimmt Gesetz und Ausmass der Katastrophe.
Wie bisher wird es nicht endlos weitergehen. Der "ökologische Fussabdruck" ist zu gross - bei uns. Einschränkungen wären ein Gewinn. Von Nachteilen oder Einbussen kann keine Rede sein. Fortschritt durch Reduktion und Konzentration ist möglich. Es geht nicht darum, das Lob des Verzichts oder der Askese zu singen, sondern im Gegenteil um bewusste Wahrnehmung und gesteigerte Freude.
Ein zen-buddhistischer Mönch, der viele Jahre unterwegs war, wurde bei der Rückkehr gefragt, warum er so einen heiteren Eindruck mache. "Mit leeren Händen zog ich fort, mit leeren kehre ich zurück", antwortete er.
Ich stelle mir vor, dass er in den Jahren unterwegs viel gesehen und gelernt hat.
26. Juni 2006
"Ökologischer Fussabdruck sollte überall eingeführt werden"
In diesem ausgezeichneten Artikel erwähnt Aurel Schmidt, dass der Ökologische Fussabdruck bei uns zu hoch ist. Der Basler Mathis Wackernagel hat dieses geniale Konzept entwickelt und leitet das "Global Footprint Network" (www.footprintnetwork.org. ). Laut seinen Berechnungen ist der Ökologische Fussabdruck bei uns 3-mal zu gross. Leider ist er auch global schon um 1,22 grösser als naturverträglich/nachhaltig wäre - die Zunahme im letzten Jahr betrug zwei Prozent!
Es wäre dringend notwendig, dass der Ökologische Fussabdruck als Messinstrument der Naturbelastung überall eingeführt würde zur Ergänzung des Bruttosozialprodukts, des ökonomischen Messinstruments der Wirtschaft. Nur durch eine ganzheitlich ökonomisch-ökologische Steuerung könnte die Gefahr vermindert werden, dass die Menschheit - im Wachstumswahn die Grenzen des Wachstums verleugnend - in den ökologischen Abgrund schlittert.
Roland Matter, Basler Grossrat 1984-1997, Basel
"Das Problem ist jeder einzelne Mensch auf dieser Erde"
Das Problem sind nicht die Politiker oder die Politik, sondern jeder einzelne Mensch auf dieser Erde selber. Dabei kann ich nur auf Immanuel Kants kategorischen Imperativ verweisen, der angesichts der prekären Lage auch mir immer wieder meine Fehlbarkeit vor Augen führt: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."
Siro Imber, Allschwil
"Am nachhaltigsten leben Studenten und einfache Arbeiter"
Nicht das globale Handeln ist das Problem. Auch nicht die Manager, die gerne verteufelt werden, weil sie tun, wofür sie angestellt wurden: Effizient zu produzieren oder Dienstleistungen zu erbringen (Nichteffizienz führt zu Verdrängung durch die Konkurrenz oder bei Planwirtschaft zu Wertvernichtung im Sowjet-Stil).
Auch die Marktwirtschaft per se ist nicht diabolisch, wie sie von Ideologen gerne dargestellt wird. Hochproblematisch ist die Möglichkeit, zu produzieren und zu konsumieren und dabei Kosten Drittpersonen (Unbeteiligte, zukünftige Generationen) anzulasten (sog. externe Kosten). Wären sämtliche gesellschaftlichen und ökologischen Kosten, die bei der Produktion und Konsumation anfallen, überall im Preis enthalten, dann gäbe es keine Flüge für unter 100 Franken mehr. Das würde aber bedeuten, dass viele Massengüter wie z.B. heutige Flugreisen nicht mehr für die Masse erschwinglich sind. Am nachhaltigsten leben Menschen mit kleinem Budget: Studenten und einfache Arbeiter. Sie haben auch keine andere Wahl.
Hier kommt der nichtökonomische Aspekt hinzu. Der Wunsch nach immer mehr. Bio-Lebensmittel und dafür kein Theaterbesuch ist für viele weniger wert als günstigere, gespritzte Lebensmittel und ein Theaterbesuch dazu. Der Drang, mit etwas haben etwas zu sein, der Wunsch nach Status durch Statusgüter. Was die "High Society" macht, will der einfache Arbeiter auch: Weltreisen, Porsche, golfen. Dieser Wunsch nach immer mehr verhindert, dass Politiker die externen Kosten den Verursachern anlasten können. Und so bezahlen andere mit Husten dafür, dass möglichst viele Leute Feinstaub produzieren dürfen.
Wenn alle so leben wollen wie diejenigen in Saus und Braus es tun, kann das gut gehen? Bei einer wachsenden Weltbevölkerung?
Den Konsum der "High Society" auf die Masse zu verteilen (im Sinne einer oft geforderten Gerechtigkeit) würde dem Einzelnen nicht viel bringen, denn auch die Reichen können nicht mehr als ein Auto gleichzeitig fahren. Es scheint mir (bei uns) weniger eine Frage der Verteilung des Reichtums als eine Frage des Lebensstils zu sein. So lange der materialistisch ausschweifende Lebensstil einiger Reichen als Vorbild gilt (Lebensziel: Porsche, Haus mit Swimming Pool, etc.), so lange sich Leute besser fühlen, wenn sie mehr Rohstoffe als ihr Nachbar verbrauchen, so lange wird es keine Umkehr geben (es sei denn erzwungen durch Katastrophen).
Natürlich sollten nicht alle Mönche werden, sonst hätten auch die Mönche nichts mehr zu essen. Aber mehr materielle Bescheidenheit und Sinnsuche in nichtmateriellen Dingen eröffnen Alternativen.
Andy Wolf, Muttenz
"Man sollte Politiker immer wieder an ihre Versprechen erinnern"
Das Globale wird lokal entscheiden. Oder andersherum: Das Lokale hat globale Auswirkungen. Dazu einige Bemerkungen.
Mir fällt auf, dass viele Schülerinnen und Schüler, kaum beginnt die wärmere Jahreszeit, mit allergischen Reaktionen ihrer Körper zu kämpfen haben. Sie husten, sie beklagen Hautallergien, sie können nicht richtig durchschlafen, sie haben Atemprobleme und so weiter. Vor dreissig Jahren, als ich meine berufliche Arbeit als Lehrer startete, war eine derart auffallende Häufung von "Sommergrippen" nicht feststellbar.
Ich selber bemerke als Velofahrer, dass ich sofort, wenn die Temperaturen steigen, wenn die Sonnenscheindauer zunimmt, Probleme mit meinen Augen erhalte, dass meine Atmung nicht so geht, wie ich es erwarte und ich entdecke ein zunehmendes Bedürfnis, in Innenräumen zu bleiben, weil die Stadtluft eben nicht mehr frei atmen lässt.
Solche Umstände waren die Hauptgründe, weshalb ich bei den letzten Wahlen rotgrüne Politikerinnen, Politiker und Parteien gewählt habe. Sie haben damals eine Mehrheit in der Regierung und eine zu organisierende Mehrheit im Parlament erhalten.
Und was erfahre ich über deren Tätigkeit zu meinen gesundheitlichen, meinen ganz bescheidenen stadtluftbezogenen Wünschen? Sie tun nichts.
Sie tun so, als hätte man sie gewählt, weil sie genau dasselbe tun würden wie diejenigen, die seit 50 Jahren die mehrheitliche Macht in Basel hatten. Ich sehe keine Verschiebung von Steuergeldern zugunsten einer erträglicheren Stadt-Atmosphäre im ursprünglichen Wortsinn. Dafür: Unnützer Strassen- und Plätztebau wie eh und je, Vernichtung von Bäumen und vor allem von Buschwerk in den Parks und so weiter.
Lieber Aurel Schmidt, ich denke, man sollte diejenigen, welche da Etikett "grün" gewählt hatten, um gewählt zu werden, fortgesetzt immer wieder sehr deutlich auffordern, zu tun, was zu tun ist ist Sinne ihrer Etikettierung. Denn es beginnt wohl vor doch Ort, das Handeln zugunsten der Stadtbewohner (und Steuerzahler des Stadtkantons), zugunsten der vielgenannten "Schöpfung".
Alois-Karl Hürlimann, Basel
"Nichts als die Wahrheit"
Ausgezeichneter Beitrag. Bravo. Aber leider: Die Produzenten sind auch die Konsumenten. Eine Spirale, die sich immer schneller dreht, bis es knallt. Irgendwann wird der Mensch rezycliert und muss wieder vorn beginnen.
Urs Fröhlicher, Münchenstein