Thank you, Mr Wolfensohn
Wenn James D. Wolfensohn, Weltbank-Präsident von 1995 bis 2005, nach Basel kommt, füllen die Vertreter der Basler Finanz- und Wirtschaftswelt die Aula der Universität. Ein wenig vom grossen Wolfensohn-Licht soll auch auf die lokale Prominenz fallen. Man ist unter sich. Man versteht sich. Man teilt die gleichen Sorgen und verfolgt die gleichen Strategien, um damit fertig zu werden.
Der Gast wird vorgestellt, als sei seine Heiligkeit, der Dalai Lama, ins Land gekommen. Der Vorsitzende der Versammlung stellt den erlauchten Referenten vor und zählt seine Funktionen auf: Inhaber zahlloser Investmentfirmen, internationaler Berater für Fragen der globalen Wirtschaft, Kulturförderer, sozialer Wohltäter. Dem Letzten muss klar geworden sein, dass der Redner überall seine Finger im Spiel hat. Sogar ihm wird es zuviel.
Was er dann zu sagen hat, ist im wahrsten Sinn des Wortes nicht der Rede wert. We have to change our perception of the world. Denn die Welt verändert sich viel schneller, als wir uns vorstellen. In Indien, Mexico, sogar Algerien sind Anzeichen einer new vivacity und von rapid growth festzustellen. 50 Prozent des Welthandels wird heute south-south abgewickelt. China, Indien, Brasilien, Russland sind die Wirtschaftsschwerpunkte von morgen. Bis 2050 gibt Wolfensohn der Entwicklung Zeit. Dann wird die Welt anders aussehen.
Die wichtigsten Probleme heute sind der Islam, das Erdöl, die Frauen, die Bildung. Wie jeder Kolumnist weiss. Bleibt nur die Frage: Was tun? Das jedoch ist a separate speech.
Gestern war Wolfensohn in Moskau, heute macht er in Basel Station, morgen fährt er nach China weiter. Menschen wie er haben einen Überblick, der uns fehlt. Wir haben nur Meinungen. Er hat Wissen.
Den rechten Arm auf das Rednerpult gestützt, zeichnet er während des Vortrags mit der linken Hand grosse Linien in den Saal. So gross, wie der Flug seiner Gedanken, die sich von keinerlei störenden Hindernissen aufhalten lassen.
Business regiert die Welt. Die kleineren Probleme werden grosszügig übergangen. Corruption? Eine Aufgabe für die nächsten 25 bis 50 Jahre. Poverty? Ein statistisches Problem. Menschenrechte? Es geht um Rechte im allgemeinen. Je gröber das Thema umrissen wird, desto mehr entfallen die Details als Nebensache. Ugh, ich habe gesprochen, sagten die Indianer, wenn sie ihre Reden beendeten. Wäre auch etwas für Mr Wolfensohn gewesen.
Kein kritisches Wort während des ganzen Abends. Personen wie Wolfensohn müssen weder argumentieren, noch begründen oder erklären, was sie sagen. Ihr Wort hat eine solche Autorität, dass es schon so sein wird, wie sie behaupten, wenn sie es sagen.
Kein Wunder, hat das Publikum den Eindruck gewonnen hat, einer Sternstunde des globalen Weltverständnisses beigewohnt und endlich verstanden zu haben, was es schon immer gedacht, aber jetzt aus berufenen Mund bestätigt bekommen hat.
Dreimal bedankt sich der Tagesvorsitzende zum Schluss für den weitblickenden Tour d'Horizon mit der grossen Schwenkkamera. Thank you very, very, very much, Mr Wolfensohn.
29. Mai 2006
"Soll die Mit- oder die Nachwelt andächtig vor diesen Weltgeistern verharren?"
Aurel Schmidt erzählt seinen Lesern eine Geschichte über Mächtige, die nicht mehr so mächtig sind.
Die bedeutenden Herren - es sind ja wirklich immer Herren, die bedeutend sind - erzählen in Schmidts Geschichte von ihrer angeblich grossen Erfahrung und stellen ihr Wissen darüber, wie die Zeitläufte wirklich aussehen, nie unter irgend einen Scheffel. Man kann allerdings Unterschiede sehen: Einerseits die "Wissenden", wie sie Aurel Schmidt nennt. Diese "Wissenden" versuchen mit Hilfe von Reden und Vorträgen, in denen sie seit Jahren immer wieder dasselbe sagen, meistens noch mit sich im Mittelpunkt, mit dem Verschwatzen der angeblich erworbenen Meriten, welche ihnen irgend ein bedeutendes Amt gebracht hatte als "Treibmittel" oder gar als Akkumulator, den eigenen Geldsack prallzufüllen respektive ad personam unter die Reichen zu kommen.
Anderseits treten auch "Handelnde" auf, wie ich einige dieser very important Persönlichkeiten beschreiben würde. Die Namensliste der Wissenden, der Besserwisser, wenn man so will, ist natürlich viel länger als jene der Handelnden. Interessant ist nur, dass die Wissenden zu Zeiten, als sie Macht ausübten, als sie Entscheidungen treffen konnten, den Modeströmungen ihrer Zeitläufte immer genau so nachgejagt sind wie die heutigen Mächtigen es ihrerseits offensichtlich auch immer tun.
Wissende wie Helmut Schmidt, Giscard d'Estaing, Henry Kissinger, Shimon Peres, Helmut Kohl und so weiter, zu denen also auch der Herr Wolfensohn gehört, schreiben gerne die Geschichte, die sie bewegt haben, so in die Geraden, dass alles Widersprüchliche sich zu einem strikt logisch aufgebauten und auf Grundlagen allgemeiner Prinzipien, die man dann "Freiheit", "Demokratie", seltener "Rechtsstaat", neuerdings häufiger "Eigenverantwortung" nennt, angereicherten Handlungsgebäude fügt. Und die Mit- oder die Nachwelt soll dann andächtig und in Ehrfurcht vor diesen Weltgeistern verharren und allenfalls Anbeter der Expräsidenten-Geschichtsbedeutung werden? Ach wo.
Es genügt doch einfach, das eigene Wissen über die Tätigkeiten der genannten und weiterer Herren zu reaktivieren. Man weiss sofort, dass einer wie Kissinger eigentlich vor ein UN-Tribunal gehörte. Dass vieles, was andere "Wissende" unternommen haben, für Millionen und sogar Milliarden Menschen verheerende Folgen gehabt hat, zum Beispiel Hungertod, zum Beispiel menschenunwürdige Armut, zum Beispiel Krankheit und früher Tod, zum Beispiel Kriegsgreuel.
Die Handelnden - ich nenne drei: Carter, Gorbatschow, Clinton - organisieren nach ihren Staatsamtsjahren Kommunikation, arbeiten für Bildung, für tatkräftigeres und zivilcouragierteres Auftreten, namentlich auch gegen jene Nachahmer, welche meinen, ein Weltbankpräsident sei eine very very important Personality und man müsse ihr very very very much thank you sagen.
Ich denke, man sollte sich mehr darum bemühen, die Werke der Handelnden durchaus kritisch, aber dadurch auch mitaufbauend zu begleiten als das Gesülze der "Wissenden" zu verbreiten.
Alois-Karl Hürlimann, Basel