Lieber Margen als Märkte
Der Markt regelt alles. Er bietet die Lösung aller Probleme an. Nur: Ob es sich dabei um eine Erlösung oder Auflösung handelt, bleibt unentschieden.
Die Rede vom Markt ist immer ergreifend anzuhören, aber selten durchdacht. Markt heisst Konkurrenz, und Konkurrenz ist angeblich gut für die Wirtschaft. Die Unternehmen strengen sich an und entwickeln verbesserte, das heisst wettbewerbsfähige Produkte, dies erst noch zu tieferen Preisen, was die Konsumenten, diese armen Teufel, sich dankbar gefallen lassen. So werden Umsatz und Geschäft belebt.
Schön wärs. Das Gegenteil ist der Fall. Nichts ist in Tat und Wahrheit so schlecht für die Wirtschaft wie Markt und Wettbewerb. Für das Lehrbuch und die Rhetorik mögen sie genügen, für den Geschäftsalltag sind sie Gift.
Zwei Beispiele. Es gibt in der Schweiz 4'500 Tankstellen. Viel zu viele, sagen Fachleute. Zwar profitieren die Automobilisten davon, aber als Folge werden die Erträge gedrückt. Das ist der unerwünschte Nebeneffekt des gepriesenen Prinzips Markt.
Die Baufirmen Zschokke und Batigroup haben sich zusammengeschlossen. Weil die Firmen allein zu klein sind, um sich auf dem Markt behaupten zu können, fusionieren sie und steigen so in die Champions League der Baulöwen auf. Sie werden kompetitiv. "Die Fusionspläne sind bei den Anlegern an der Börse gut angekommen", kommentierte die "Basler Zeitung" am 16. November 2005. Nebenbei wurden als Folge des Deals 650 Stellen abgebaut.
In der gleichen Sache kam die "Handelszeitung" zur hübschen Erkenntnis: "Es gibt viel zu viele Baufirmen, die sich gegenseitig die Aufträge streitig machen und die Preise und damit auch die Margen in den Keller drücken." Sage ich ja: Der Markt ist schlecht für die Margen. Eine Ausnahme bilden die Ärzte. Je mehr es von ihnen gibt, desto teurer das Gesundheitswesen.
Man weiss jetzt, was Kompetitivität heissen will. 650 Stellen weg und Wohlgefallen an der Börse. Für die eingebetteten Wirtschaftsjournalisten zählt nur, dass die Rechnung stimmt. Die Nachteile übersehen sie. Die gehören nicht in ihren Kompetenzbereich.
Im gleichen Zeitraum wie die beiden erwähnten Fälle wurde bekannt, dass die "Swiss Re" für 6,8 Milliarden Dollar die Rückversicherung von "General Electric" erworben hat. Auch hier müssen Stellen abgebaut werden, "allerdings keine in der Schweiz". Sonst hätten die journalistischen Begleitmusiker von der bedauerlichen, aber ökonomisch gerechtfertigten Notwendigkeit gesprochen. Zur Übernahme liess sich der Konzernchef Coomber so vernehmen; "Grösse war in unserem Geschäft nie wichtiger als heute."
Da liegt der Hund begraben. Nicht Konkurrenz ist das Ziel, sondern Grösse beziehungsweise Beherrschung des Markts. Also weniger Konkurrenz. Wegen der Margen. Siehe oben.
Natürlich müssen die "immensen Schäden verdaut" werden ("Basler Zeitung"), die in der Branche aufgelaufen sind (die Risikoversicherung scheint ein intestinales Problem zu sein). Die Ursache dieser Schäden ist keiner Überlegung wert. Auch andere Fragen erübrigen sich, wenn die Börse ihren Segen erteilt und der hypothetische Markt alle Probleme gelöst hat.
28. November 2005
"Zahlen stimmen bei weitem nicht"
Sie erwähnen in Ihrem Bericht, dass es in der Schweiz 4'500 Tankstellen betrieben werden. Ich weiss nicht, woher Sie diese Zahlen haben, sicher stimmen sie bei weitem nicht.
1988 gab es 3'985; 2004 waren es noch 3,495 also ein klarer Trend zur Konzentration. Massgebend für die Verringerung der Zapfstellen war nicht nur die stagnierende Nachfrage, sondern in erster Linie die strengen Umweltschutzauflagen. Die zitierten Angaben stammen aus dem Jahresbericht der Erdölvereinigung.
Rudolf Feierabend, Präsident der Schweizerischen Schifffahrtsvereinigung, Basel
"Der Markt wirds nie und nimmer richten"
Eine Utopie geht um im globalen Dorf: Die Utopie, wonach der Markt alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Koordinations- und Regulierungsprobleme lösen wird. Neoliberale Apologeten unterschiedlichster Herkunft und Couleur werden nicht müde, den Markt als die Heilsversprechung anzupreisen. Dabei hat keiner der grossen und echten liberalen Ökonomen den Markt als gute Lösung verstanden. Der Markt ist, wie die Demokratie, die schlechteste Lösung, ausgenommen alle anderen. Und der Markt ist nur so gut wie die ihn beherrschenden Manager bzw. die sie kontrollierenden Aufsichts- und Verwaltungsräte.
Nach dem Lehrbuch beruht das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem auf dem Wettbewerb. Es kommt immer darauf an, besser und stärker zu sein als die anderen. Doch wie gross darfs denn sein? Dieser Egoismus macht vor nichts halt. Immer deutlicher werden die Folgen sichtbar: Stellenabbau, Arbeitslosigkeit, Marginalisierung des Mittelstandes und dadurch Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Zerfall der gesellschaftlichen Werte und hemmungslose Ausplünderung der natürlichen Ressourcen.
Der entfesselte Markt allein wird es nie und nimmer richten, zumindest nicht für alle. Wenn wir den Moloch Markt in Schranken halten wollen, so braucht es Leitplanken, die nur der demokratisch legitimierte Staat aufrichten und kontrollieren kann. Nötig sind auch einheitliche Prinzipien für eine globale Wettbewerbspolitik, eine neue Weltwirtschaftsordnung.
Pius Helfenberger, Münchenstein