Moratorium heisst Zeit haben zum Nachdenken
Was machbar ist, muss genau abgeklärt werden, bevor es in die Praxis umgesetzt wird, die Folgen könnten unabsehbar sein. Nicht alles, was möglich ist, muss auf der Stelle vollzogen werden. Moratorium heisst Aufschub. Seit wann ist Nachdenken, Abwägen, Überlegen verrufen?
Die Initiative "für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft", das sogenannte Gen-Moratorium, über die nächstens abgestimmt wird, präjudiziert nichts. Ihre Ablehnung würde dagegen einer Situation Tür und Tor öffnen, die später irreversibel wäre. Es gäbe keine Umkehr. Es lohnt sich deshalb, einen Augenblick innezuhalten und sich darüber Gedanken zu machen.
In diesem Geist ist es ratsam, eine bedenkliche Forschung abzulehnen und dafür eine positive Entwicklung zu unterstützen: für eine Zukunft, die überlegt und erwünscht ist, konkret gesagt: Für eine naturnahe Landwirtschaft und damit für eine Ernährungsweise, die diese Bezeichnung verdient. Und zwar mit einem Ja an der Urne für die Initiative. Ein Nein käme dagegen einer Zwängerei gleich, einem Versuch, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.
Kluge Menschen überschlafen noch einmal ihre Beschlüsse. Fünf Jahre Warten sind keine Zeit – ohnehin ist es viel zu wenig für das, worum es jetzt geht.
Der Life-Sciences-Standort wird kaum geschwächt, dagegen könnten etwa die nicht unbeträchtlichen Risiken des Nebeneinanders von ökologischer und von gentechnischer Landwirtschaft genauer untersucht werden. Es geht mithin auch nicht um "Verbote" in der Landwirtschaft, wie die Dienst habenden Drängeler behaupten, sondern darum, das Sinnvolle zu tun. Auf keinen Fall aber darum, dass ein paar Leute mit der Freiheitsfahne ihre Interessen durchpauken und dabei unterstellen, dass sie es selbstlos für die anderen tun. Das stimmt nicht. Es ist eine leicht durchschaubare Behauptung.
Dass etwa die Agro-Gentechnologie helfen würde, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, ist eines dieser Märchen, die man gegenwärtig häufig hören kann. Ginge es tatsächlich darum, wäre es wichtiger, Landrechtsfragen zu klären und die Marktverhältnisse zu ändern. Das würde viel bewirken. Der viel beschworene Markt verzerrt die Strukturen. Er erlaubt den transnationalen Konzernen, ihre Interessen durchzusetzen. Die Berufung auf den Markt ist heute ein Statement aus der fundamental-opportunistischen Küche, das nicht wahrer wird, wenn es ritualisiert und endlos repetiert wird. "Eurer Geschäft – das ist euer grösstes Vorurteil" (Friedrich Nieztsche).
Es gibt noch weitere unbeantwortete Fragen in diesem Zusammenhang. Zum Beispiel, dass die Gentechnik die ökologische oder bäuerliche Landwirtschaft in ein Agro-Business verwandelt, das neue Verhältnisse und neue gigantische Abhängigkeiten der Menschen von den dominierenden Agro-Konzernen schafft, die heute noch gar nicht richtig ins Bewusstsein gerückt sind.
Die Gentechnik ist im Begriff, die Eigentumsverhältnisse so grundlegend neu zu ordnen, wie das bisher undenkbar war. Wem gehört das Leben? Denen, die es patentieren lassen? Wir werden noch auf die Welt kommen.
14. November 2005
"Der Profit hat die Ethik altmodisch gemacht"
Die Frage, die sich nach Lektüre der Kolumne stellt, ist die Frage nach der ethischen Verantwortung, die wir heute wahrzunehmen haben. Und ich finde, dass Ethik immer weniger diskutiert wird. Der Profit hat die Ethik altmodisch gemacht.
Der kurzfristige ökonomische Nutzen beim Verkauf des Gen-Saatguts erlaubt es, die Folgen der gegenwärtigen Handlungen nicht zu betrachten. Wer jetzt weiterhin in die Natur eingreift und die Folgeschäden der Zukunft überlassen will, gefährdet diese Zukunft. Wenn davor warnen, was passieren kann, "bevormunden" ist, sollte unbedingt mehr bevormundet werden. Denn sonst entsteht ein Aktionismus, der uns nur den Fortschritt des Ungewissen und damit mehr Bedrohung bringt.
Kürzlich sah ich eine Sendung über den Gen-Weizen in Indien und über die Gen-Baumwolle auf Arte. Das Saatgut vermischt sich evolutionär mit anderen Pflanzen und trägt dazu bei, dass die Artenvielfalt ausstirbt. Damit sterben Pflanzen und Tiere, und so löst sich Stück für Stück das ganze Ökosystem auf. Das kann doch nicht Fortschritt sein.
Wer sieht, was seit dem Ende des 20. Jahrhunderts auf der Erde passiert ist, muss sich eingestehen, dass es in Zukunft mehr Moratorien braucht, um Handlungen auf ihre möglichen Folgen für die künftigen BewohnerInnen der Erde zu überdenken.
Peter Trübner, Biel
"Es sind schon genug Padora-Büchsen offen"
Pause machen - Nachdenken? Ja gern. Ich finde, wir haben schon genügend Pandora-Büchsen offen, wozu ich Atom-Müll, Klima-Veränderung und Überbevölkerung zähle. Ein Nietzsche-Zitat weiss ich keins, finde aber, bevor wir uns mit neuen Grossexperimenten Steine um den Hals hängen, sollten wir bei den alten Problemen einen Schritt weiterkommen.
Sibylle Grosjean, Zürich
"Sie haben ja die Antwort bereits!"
Nachdenken, Abwägen und Überlegen sind doch nicht verrufen, Herr Schmidt. Doch wozu nachdenken, wenn die Antwort für Sie bereits auf der Hand liegt? Sie halten die Forschung in der Gentechnologie jetzt schon für bedenklich und wollen zurück zur naturnahen Landwirtschaft.
Die Gentechnologie ist nicht die einzige Lösung für die Ernährungsprobleme dieser Welt, doch sie ist ein Teil davon. Die Nahrungsmittelproduzenten der Entwicklungsländer müssen auf den Märkten der industrialisierten Welt auch konkurrieren können. Also weg mit den Landwirtschaftssubventionen und anderen protektionistischen Massnahmen!
Ein Moratorium ist zunächst einmal ein Verbot, wenn auch auf Zeit. Nach Ablauf der fünf Jahre würden die gleichen Leute wieder kommen und "aufgrund der guten Erfahrungen mit dem Moratorium" ein Totalverbot fordern. Sie haben es schon einmal versucht. "In Wahrheit heisst etwas wollen, ein Experiment machen, um zu erfahren, was wir können." (Nietzsche).
Michael Rossi, Basel
"Ein Moratorium bevormundet Schweizer Konsumenten"
Moratorium heisst: Alles verbieten, was die Menschheit vorwärts bringen kann.
Moratorium heisst: Sich abschotten, Forschung nicht verbieten, doch so behindern, dass sie gezwungen ist, sich im Ausland zu etablieren.
Moratorium heisst: Schweizer Konsumenten bevormunden, weil sie das zu kaufen haben, was die Grünen und Bauern ihnen zugestehen wollen.
Moratorium heisst: Die Grünen wollen nicht ein Moratorium für fünf Jahre, sondern genveränderte Produkte durch die Hintertür auch in Zukunft verbieten.
Moratorium heisst: Für 60 Prozent der Lebensmittel aus dem Inland ein Verbot und für 40 Prozent der Lebensmittel aus dem Ausland Freigabe.
Moratorium heisst: Arbeitsplätze in der Schweiz gefährden.
Felix Schäfli, Hersberg
"Nachdenken ist besser als Schnellschüsse"
Einmal mehr versteht es Aurel Schmidt, ein scheinbar kompliziertes Problem einfach und verständlich aufzuschlüsseln. Da müssen doch wirklich auch dem einfachsten Gemüt die Schuppen von den Augen (oder der Nebel im Hirn) fallen - es geht den interessierten Chemiefirmen einzig und allein ums grosse Geschäft und nicht darum, dass mit gentechnisch verändertem Saatgut weniger Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet werden müssen. Da würden sie sich ja ins eigene Fleisch schneiden. Gentechnisch verändertes Saatgut ist patentiert und muss auf ewige Zeiten beim Patentbesitzer gekauft werden!
Zudem sind die bei der Pflanzung von gentechnisch verändertem Saatgut entstehenden Probleme mit dem Pollenflug und dem Einfluss auf die übrigen - nicht veränderten - Pflanzen nicht gelöst, weshalb ein Moratorium Zeit gibt, die Sache noch besser abzuklären. Nachdenken hat im Gegensatz zu Schnellschüssen noch nie geschadet.
Bruno Honold, Basel