Weder rechts noch links
Bei den Erfolgen der Sozialdemokraten und besonders der Grünen in der letzten Zeit haben sich die Medien mit der reinen Feststellung begnügt. Über die Gründe ist bisher noch kaum gesprochen werden.
Ein nahe liegende Ursache liegt im Versagen der bürgerlichen Politik. Das Bürgertum war im 19. Jahrhundert eine revolutinäre Kraft, die sich ihre Rechte gegen die feudalistische Vormacht und die reaktionären Regimes in Europa nach dem Wiener Kongress hart erkämpft hat. Wer weiter in der Geschichte zurückgehen will, kann bei den amerikanischen Gründervätern ansetzen und bei deren hohem Sinn für Staatsverfassung. Sicher ist aber, dass das Bürgertum in der Schweiz 1848 die einzige erfolgreiche Revolution in Europa durchgeführt hat.
Von diesem radikalen Elan ist nicht viel geblieben. Umso mehr muss der Verlust bedauert werden. Heute ist bürgerliche Politik ein engstirniges, am eigenen Gewinn orientiertes Vorhaben. Wirtschaftliche Fragen erdrücken alles Übrige. Weniger Steuern für gute Steuerzahler sind der unüberschreitbare Handlungshorizont. Die Finanzpolitik, die Bundesrat Hans-Rudolf Merz dem Land beschert, ist keine Katastrophe, sondern eine regelrechte Provokation, die mit dem Egoismus der Menschen kalkuliert. Sie ist symptomatisch, aber alles andere als weitsichtig. Mit Sparen und Deregulieren macht man keine tragfähige Politik.
Innovative Leistungen werden heute von den Menschen in kleinen Firmen und Betrieben erbracht, aber kaum von der bürgerlichen Politik angeregt. Anstatt den Weg freizumachen für eine engagierte und zukunftsorientierte Gesellschaft, bleiben die Bürgerlichen auf ihren erworbenen Besitztümern hocken und bilden einen Exzellenz-Verein. Die Folgen sind ein Immobilismus, der die Entwicklung bremst, und eine immer krasser auseinander driftende soziale Ordnung, in der einige soviel verdienen wie siebenhundert Putzfrauen im Jahr.
Kein Wunder also, wenn die Linke von dieser Situation profitiert. Die bürgerlichen Parteien müssen sich klar sein, dass sie es sind, die den Linken in den Zug steigen helfen und das Abfahrtssignal bedienen. Ihr Logo zu ändern reicht nicht. Sogar die Energiepolitik ist bei der Linken noch besser aufgehoben als bei den bürgerlichen Parteien. Alle grossen Themen der Zeit wie Umwelt (als Zukunftskapital verstanden), Menschenrechte, sozialer Ausgleich, wissenschaftlicher Fortschritt haben die Bürgerlichen vernachlässigt, statt sie zu ihren eigenen zu machen. Sie sind alles andere als modern.
Aber das sind die Linken auch nicht. Solange sie die Sozialpolitik zu ihrer Hauptagenda erklären, bleiben sie von den politischen Realität abhängig und reparieren sie bloss. Und solange sie keine klare, kritische Haltung in den Fragen des Sozialmissbrauchs und der Ausländerpolitk einnehmen und jeden Vorbehalt als Fremdenfeindlichkeit zurückweisen, werden sie nicht glaubwürdig sein. Doch es gibt erste Anzeichen für ein Umdenken.
Parteipolitik ist eine Falle. Sie war noch nie so unzeitgemäss wie heute. Wer die Unabhängigkeit seines Denkens bewahren will, wird nie ein Parteigänger sein können und muss sich von Fall zu Fall entscheiden.
1. Mai 2006
"Wir brauchen Parteien und wir brauchen Parteilichkeit"
Aurel Schmidt hat in seinen Betrachtungen zum Niedergang bürgerlicher Politik einen entscheidenden Erfolgsfaktor des politischen Projekts Schweiz in der Mitte des 19. Jahrhunderts vergessen: Die Tatsache, dass das Land nach dem Zusammenbruch der alten Eidgenossenschaft 1798 während 50 Jahren bzw. zwei Generationen einen schweren inneren Konflikt durchlebt hat, in dem alles, was das Selbstverständnis des Landes bisher geprägt hatte, in Frage gestellt wurde und die Nation und ihre Grundlagen neu erdacht werden mussten.
Die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts war vermutlich die politisch kreativste Periode der Schweizer Geschichte, sie wurde und wird aber im Geschichtsunterricht wegen ihrer Komplexität sträflich vernachlässigt. Die erste Hälfte des 19. Jahrhundert ist für die durchschnittlich gebildeten Schweizerin, den durchschnittlich gebildeten Schweizer finsterer als das "finsterste Mittelalter". Nur wenige Autoren haben sich in allgemein verständlicher Weise mit diesem Teil unserer Geschichte befasst, so etwa der Berner Tobias Kästli in seinem Buch "Die Schweiz – Eine Republik in Europa" (NZZ Verlag 1998). Wer tiefer in diesen Teil der Schweizer Geschichte eintaucht, wird grossartige Zeugnisse der Intensität der Auseinandersetzung finden, so etwa in den Tagebüchern des Waadtländers Urbain Olivier aus den Jahren 1831, als eidgenössische Truppen in Stadt und Landschaft Basel stationiert wurden, um die Konfliktparteien auseinanderzuhalten (vergleichbar dem internationalen Truppeneinsatz im Kosovo in der Gegenwart), und 1847, während des Sonderbundskriegs.
Die Qualität der Auseinandersetzung, die Differenziertheit und Reife, mit der Konflikte in der Schweiz angegangen wurden, hat ein englischer Pfarrer aus Norfolk in seinem Bericht "On The Late Civil War in Switzerland", nur drei Monate nach dem Sonderbundskrieg in Zürich und London gedruckt, geschildert. Und Joachim Remak hat in seinem Buch "A Very Civil War" (Westview Press 1993) der nicht nur militärisch hervorragenden, sondern auch ausgesprochen humanen Führung des Sonderbundskriegs von 1847 durch General Guillaume Henri Dufour ein Denkmal gesetzt. Mit dem Titel "A Very Civil War" wollte der Autor den Kontrast zu den Gräueln des amerikanischen Sezessionskrieges von 1861 bis 1865 markieren.
Dass die Auseinandersetzung in der Schweiz direkt in eine Bundesverfassung mündete, welche die Konfliktparteien versöhnt und die sich gut 150 Jahre bewährt hat, war kein Geschenk des Himmels, sondern die Frucht langjähriger harter Auseinandersetzung zwischen extremen Positionen. Wenn Aurel Schmidt glaubt, dass die Probleme der Gegenwart nur mit einem "Entscheid von Fall zu Fall" zu lösen seien, entspricht dies einem völlig ahistorischen Geschichtsbild. Wir brauchen Parteien und wir brauchen Parteilichkeit, und zwar in der Mehrzahl. Sich einer Partei anzuschliessen und mit ihr für eine Überzeugung einzutreten, birgt das Risiko des Scheiterns. Wer dieses Risiko nicht mehr eingehen will, trägt zum Scheitern des Staates und letztlich der Gesellschaft als Ganzes bei. Der Verzicht auf Parteien würde bedeuten, dass es noch schwieriger würde als heute, Menschen zu finden, die bereit sind, Verantwortung in der Politik, in Legislative und Exekutive zu übernehmen. Ob diese Parteien CVP, FDP, LDP, SP, SVP, Grüne, VEW , DSP etc. heissen, ist weniger wichtig, als dass sie ein klares Profil zeigen und dieses nicht nach Belieben ändern.
Hans Ulrich Iselin, Riehen
"Wirtschaft muss andere an ihrem Erfolg teilhaben lassen"
Es ist beeindruckend, wie mit Pauken und Trompeten der Sozialmissbrauch und der Verstoss gegen das Sparen lanciert werden, während der Kapitalmissbrauch und die Ausbeutung der Arbeitenden nur Randthemen bleiben. 30 Jahre hatten "sie" Zeit, den Lohnausgleich zwischen Mann und Frau zu bewerkstelligen, sie habens nicht geschafft. Missbrauch trotz Verfassungsgebot! Wenn die Wirtschaft wirklich über ihren Egoismus hinauskommen will, muss sie andere an ihrem Erfolg teilhaben lassen. Sonst bleibt sie wirklich nur auf einem Haufen Geld hocken. Und der kann sich systemkonform schnell in Luft auflösen.
Peter Thommen, Basel
"Eine wichtige Differenzierung unterlassen"
Ich kann mich dem Pessimismus von Aurel Schmidt nicht anschliessen. Er hat auch eine wichtige Differenzierung unterlassen. Die Unterscheidung bürgerlich-links ist untauglich, um die politische Realität zu erfassen. In der Ordnungspolitik ist die Unterscheidung staatsgläubig-marktliberal wichtiger und zeigt die wahren Unterschiede. Und dort sind auch "bürgerliche" Parteien oft auf der Seite der Staatsgläubigen anzutreffen.
Ich schliesse mich da dem Optimismus von Fulvio Pelli an. Auf die Frage, weshalb er überzeugt sei, in der FDP zu sein, antwortet Pelli in der "Baselbieter Post": "Weil ich die Geschichte studiere und die Realität beobachte: Welche Länder haben sich am besten entwickelt? Diejenigen, die als Grundwerte die liberalen gewählt haben. In welchen Staaten haben die Bürgerinnen und Bürger die grösste Freiheit? In denjenigen, die die liberale Werte gepflegt haben. In welche Ländern sind die Sozialsysteme am besten entwickelt? In den Ländern, die sich mit den Liberalismus identifizieren. Die FDP ist Ausdruck liberaler Werte. Wieso hätte ich eine andere Partei wählen sollen?"
Siro Imber, Allschwil
"Egal, wer regiert - es wird nicht besser"
Aurel Schmidt beschreibt zutreffend aus seiner Optik das Versagen der bürgerlichen Politik in der Schweiz. Es reicht hinten und vorne nicht mehr, seinen Besitzstand zu verteidigen, ja gar auszubauen. Die Schere zwischen denen da oben, denen es blendend geht, und den Anderen, die kaum über die Runden kommen, wird immer grösser. Kein Wunder, dass Rot-grün bald in allen Städten der Schweiz das Szepter schwingen kann. Wer nun aber meint, alles käme anders als gehabt, irrt. In Basel ist kaum ein Politikwechsel spürbar. Anstatt neue Wege zu höheren Einnahmen für den Fiskus zu erkunden, wird der Staat zu Tode gespart. Sozialabbau ist kein Weg zu einer dauerhaften Genesung, auf der Einnahmenseite besteht Handlungsbedarf. Gleichzeitig werden Allmendgebühren für jeden Pipifax ins Unermessliche gehievt - dreist, die reinste Abzockerei. Wenn eine Fasnachtsqlique später als Mitternacht die Kellertüren schliesst, gibts ein Affentheater mit Bussenbescheid! Die Bürokratie und mit ihr der zusammengeleimte Papierkarm nerven an allen Fronten. Ständig neue Vorschriften und Erlasse für alles und jedes erzeugen beim Bürger Wut und Frustration auf allen Ebenen.
Es stimmt, Rot-grün steht vor der Ausländerproblematik wie der Ochs vor dem Berg, ohne Rezept, ahnungslos und auch ignorant. Wenn die Behörden endlich mal Sozialschmarotzern den Schnauf abstellen, dann rüsslen prompt die Grünen und wittern George Orwellsche Verhältnisse. Demzufolge bleibt nur die Schlussfolgerung: Egal, wer im Rathaus regiert, besser wird es nicht, im Gegenteil! Der 1. Mai ist ohnehin nur ein Feiertag mehr zum Ausschlafen. Sicher werden auch heute nur wenige Unentwegte den Weg zum Marktplatz finden, um den Reden der Politiker zu lauschen. Wetten, dass heute wie ein Wald voll Affen über die Megasaläre einiger Bosse gewettert wird? Herrlich, nicht wahr? So müssen diese Damen und Herren über die wahren Probleme von Basel nicht reden und können elegant die heissen Kartoffeln fallen lassen.
Eric Cerf, Basel