Das Recht muss für alle gleichermassen gelten
Vor Kurzem unterhielt ich mich in Libyen mit dem syrischen Professor G., der an der Universität Tripolis Geschichte unterrichtet. Er war positiv zur Hamas eingestellt und meinte, dass deren Vertreter ausgesprochen sozial dächten und das Wohlergehen der Menschen im Sinn hätten. Anders sah es der libanesische Kapitän, Jurist und heutige Reiseführer H., der sich kritisch über die Hamas äusserte.
Man ist also unter Arabern offenbar geteilter Meinung über die Hamas. Unerschütterlich einig jedoch sind sich alle Menschen in den arabischen Ländern in der Parteinahme für die Palästinenser.
Seitdem die Europäische Union nach dem demokratischen Sieg der Hamas ihre Finanzhilfe an die palästinensische Autonomiebehörde eingestellt hat, ist in den arabischen Ländern eine Verschlechterung der politischen Stimmung zu beobachten: "Wir haben nie das Geringste von den USA erwartet. Aber dass uns die EU jetzt im Stich lässt, verstehen wir nicht." Das Schicksal der Palästinenser betrifft alle Araber gemeinsam und gleichermassen.
Erfolgt ist die europäische Absage an die Palästinenser aus dem einfachen Grund, weil es auf wunderbare Weise gelungen ist, in der öffentlichen (oder veröffentlichten) Meinung die Hamas als terroristische Vereinigung darzustellen.
Natürlich hat die Hamas zahlreiche blutige Anschläge gegen Israel verübt. Davon ist stets die Rede, wenn über die Hamas gesprochen wird. Nur selten und nur sehr zurückhaltend ist dagegen von der fortgesetzten Annektierung von Palästinenserland durch Israel die Rede. Zur gleichen Zeit, als Israel im Jahr 2005 8'500 Siedler aus Gaza zurückzog, liessen sich 12'000 neue Siedler in den besetzten Gebieten in Cisjordanien nieder ("Le Monde", 28. August 2005). Nach dem sogenannten Konvergenz-Plan will Israel unter seiner neuen Regierung nächstens mehrere kleine isolierte Siedlungen in Cisjordanien aufgeben. Im Gegenzug soll die jüdische Bevölkerung dort in Ballungsräumen zusammengefasst und die Kolonisierung Palästinas durch Israel auf diese Weise irreversibel festgelegt werden.
Dieser Prozess geht unvermindert weiter, aber es ist ein Plan, der kaum aufgehen kann. Eher treibt er die Palästinenser noch mehr in die Arme der Hamas. Das ist eine Überlegung, die man auch dann anstellen muss, wenn einem die theokratisch-totalitäre Einstellung der Hamas ungeheuer ist.
Ausserdem zerstückelt die israelische Siedlungspolitik das Land der Palästinenser in einem Masse, dass ein lebensfähiger Palästinenserstaat von Tag zu Tag illusorischer wird. Wie können unter diesen Umständen Israel und der Westen erwarten und verlangen, dass die Hamas zuerst das Existenzrecht Israels anerkennt?
Wenn Israel das Recht auf einen eigenen Staat und notfalls auf Selbstverteidigung hat, dann muss den Palästinensern umgekehrt das gleiche Recht zustehen. Das ist nichts anderes als eine Sache der logischen Argumentationsführung.
Die Frage dabei ist nur, was zuerst war: Das Huhn oder das Ei? Also die Landbesetzung durch Israel, die einen klaren Akt der Gewalt darstellt, oder der gewalttätige Hamas-Widerstand?
15. Mai 2006
"Israel ist die Weltmeinung absolut wurscht"
Aurel Schmidt beschreibt einigermassen ausgewogen über den Konflikt im Nahen Osten, übersieht aber generös die Wurzel des Übels: Das Jahr 1948, die Gründung Israels durch Ben Gurion. Als der Judenstaat gegründet wurde, lebten weit über eine Million Palästinsenser im heutigen Kernland des damaligen Palästina. Die Engländer verwalteten im Mandat seit 1918 das Gebiet, das sie wiederum den Türken abgejagt hatten. Die schleichende Einwanderung der Juden aus aller Welt, die mehrheitlich um den Genezareth-See die ersten Kibbuzzim gründeten, setzte bereits um die Jahrhundertwende (1900) ein. Am Anfang ging alles gut, mit den ansässigen Palästinensern wurden Kuhhändel geschlossen, man kam mehr oder weniger schlecht miteinander zurecht. Immerhin floss kaum Blut. Die damaligen Einwanderer kauften den Palästinsern das Land regulär ab. Ja, es gab sogar Jahre, als Juden und Palästinenser zusammenarbeiteten, gegen die Besatzungsmacht England.
Dann kam der zweite Weltkrieg und mit ihm hundertausende Juden, die den Holocaust überlebt hatten und mehrheitlich illegal bei Nacht und Nebel einwanderten. Wer erinnert sich noch an den packenden Film "Exodus", der das Elend der Einwanderer beschrieb? Jetzt begann der Aufstand der Palästinenser, verständlich, bei den Massen, die da einsickerten, neue Kibbuzzim gründeten, oder Tel-Aviv bevölkerten und in Haifa auf dem Carmel-Berg eifrig Häuser bauten. Es gab die ersten Toten, und die Engländer sahen dem bösen Spiel tatenlos zu.
Als das Gemetzel immer schlimmer wurde, beschloss die blutjunge UNO die Teilung Palästinas. Nicht in zwei Teilen, nein, wie ein Flickenteppich, sollte Israel gegründet werden. Hier palästinensische Gebiete, dort Israel. Das konnte nicht gut gehen, das war allen klar. 1947 entstanden marodierende jüdische Banden, wie etwa die "Stern Gang", die Palästinsenser massakrierten, aber auch gegen die Briten kämpften. Das Hotel "Eden" in Jerusalem wurde von denen gesprengt, es gab über 70 Tote, darunter viele Engländer. Die Lunte des Terrors war gelegt, der Bürgerkrieg konnte beginnen. Die hilflosen Engländer zogen 1948 ab, Ben Gurion gründete offiziell in Tel-Aviv Israel. Die neugegründete israelische Armee schaffte es, über 800'000 Palästinenser aus dem Land zu jagen. Verlassene Dörfer wurden sofort gesprengt, die Ruinen, oder besser öden Steinhaufen sieht ein Tourist noch heute gut, wenn er will.
1948 fing es an, ganz offiziell mit Duldung und auch Aufmunterung der Regierung: Die Landnahme, meistens ohne Entschädigung der rechtmässigen früheren Besitzer, die seit bald 2000 Jahren da wohnten. Die ganze Welt hatte Bedauern mit den "armen Juden", die von den so bösen Arabern bedroht wurden. Klar, es war ziemlich dumm und einfältig wie etwa der Diktator Nasser 1967 die Juden ins Meer werfen wollte. Wieder spendete die Welt grossen Applaus über den siegreichen Feldzug.
Aber kaum einer dachte über die Wurzeln des Konfliktes nach. 1967 besetzte Israel die Westbank, und gab sie seither nicht mehr frei. Die UNO-Resolution verlangte von Israel den Rückzug aus der Westbank. Doch nichts geschah, im Gegenteil: Rabiate Siedler besetzen bis heute Land. Kann da einer den Palästinsern böse sein, wenn sie sich wehren? Nein! Der Bonus, den Israel einst hatte, ist längstens aufgebraucht. Israel ist heute ein Unrechtsstaat par excellence geworden, dem die Weltmeinung absolut wurscht ist, und der Unrecht zu Recht erklärt.
Eric Cerf, Basel
"Die besetzten Gebiete stammten aus der Zeit des arabischen Angriffs"
Ich möchte einfach daran erinnern, dass Israel von den "Arabern" angegriffen wurde und die besetzten Gebiete aus dieser Zeit stammen. Ich frage mich einfach, wie wäre die Sache heraus gekommen, wenn die Angreifer damals gewonnen hätten und ihr Ziel, nämlich die Vernichtung Israels (ist immer noch der Hamas Ziel), erreicht hätten? Wer würde heute dieses Gebiet für sich in Anspruch nehmen? Wäre das Ergebnis dann das "Recht"?
Stefan P. Diggelmann, 8484 Weisslingen