Die Sprache der Folter
Wörter sind Vereinbarungen, mit denen die Kommunikation vereinfacht wird. Ein Wort genügt, um sofort zu verstehen, was gemeint ist. Das ist das Grossartige an der Sprache. Die prinzipielle Offenheit der Begriffe schliesst die Gefahr der Verallgemeinerung ein, bringt aber auch einen grossen Vorteil mit sich. Es ist nicht nötig, bei jedem Wort zuerst eine Begriffsabklärung vorzunehmen.
Zum Beispiel kann das Wort Messer vielerlei bedeuten. Entweder denke ich an ein Set von Tranchiermessern im Warenhaus oder an den Satz von Georg Christoph Lichtenberg, die Null sei "ein Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt". Beim Wort Maus ist es noch einfacher. Das sind entweder die fleissigen, kleinen Tierchen, die im Keller den Käse wegfressen (heute nur noch in den Märchen), oder es ist das Werkzeug, um den Cursor zu bedienen. Die Verwendung geht aus dem Zusammenhang hervor.
Die multiple Bedeutung trifft in gewisser Weise auch auf den Begriff Folter zu. "Ich werde auf das Wort Folter nicht eingehen", hat US-Verteidigungsminister Rumsfeld erklärt. Mit gutem Grund. Er zog es vor, von "unangenehmer Behandlung" zu sprechen. Damit war das Gleiche gemeint. Mit sprachlicher Vieldeutigkeit hat dies jedoch nichts zu tun, eher ist es ein klarer Fall von Verdrehung der Sprache.
Die Art, wie in den USA in den vergangen vier Jahren der Begriff Folter moduliert worden ist, hat Methode. Alfred W. McCoy, Professor für Geschichte an der Universität Wisconsin in Madison, hat ein beklemmendes Buch über die Winkelzüge der in den USA praktizierten Sprachregulierung geschrieben: "Foltern und foltern lassen. 50 Jahre Folterforschung und -praxis von CIA und US-Militär" (2005 bei Zweitausendeins erschienen).
Beklemmend sind nicht so sehr die beschriebenen Verhör- und Foltermethoden, sondern es ist die Unverschämtheit, mit der die Folter gerechtfertigt wird. Auch die "Weltwoche" vom 1. Dezember 2005 hat das in einem liederlichen Artikel getan. Wenn die USA behaupten, Folter sei ein Mittel im Kampf gegen den Terrorismus, dann entgegnet McCoy darauf, dass der Terrorismus ein fiktives Szenario ist, um den "globalen CIA-Gulag" (McCoy) zu verteidigen.
Um die Abwehr des Terrors geht es nur am Rand oder gar nicht. Auf der Agenda steht vielmehr eine 50-jährige Praxis der Verfeinerung und Erweiterung der Folter, die mit dem Vietnamkrieg und dem blutigen Einfluss der USA in Lateinamerika begann, als die USA den mit ihnen "befreundeten" Regierungen (auch ein Begriff aus dem Wörterbuch der Verdrehungen, gemeint sind in Wirklichkeit Schergen und Handlanger) Hilfe anboten bei der Ausbildung der Polizei und der Unterrichtung von Verhörmethoden.
McCoys Schlussfolgerung: Wo gefoltert wird, nehmen die Zahl und der Kreis der Verdächtigten automatisch und sprunghaft zu.
Das Buch ist von einer erdrückenden Detailfülle. Sprachspielerei betreibt McCoy nicht. Er beschreibt eine Realität, die gar nicht genug Abscheu erregen kann.
6. März 2006
"Gezielt gewähltes Prozedere der Bush-Administration"
Es gibt unter anderem ein sprachliches Problem in den USA und man darf ja nicht meinen, die Bush-Administration sei so dumm, das nicht zu sehen: Sprache bedeutet auch (Nach-)Denken, Begriffe bilden. Damit vergeht Zeit, und das nutzt sie gezielt aus mit folgendem Prozedere:
1. Irgend eine einfache Behauptung aufstellen und sofort gross broadcasten (z.B: "America is strong", "Schurkenstaaten", "Bedrohung", etc.)
2. Einwände kommen punktuell und unorganisiert.
3. Dagegen jeweils viele gegenteilige Sprachregelungen aufstellen und Verwirrung stiften.
4. Heftiger werdender Kritik dann mit Begriffen aus Punkt 3 begegnen (Dabei zählt immer die Menge und nicht die Qualität!).
5. Behaupten, es habe eine Diskussion stattgefunden
-> also funktioniert das System / die Demokratie / die USA
-> also gilt Punkt 1.
Es ist ein zeitliches Problem: Wegen der Macht des Präsidenten und der Schwierigkeiten, sich demokratisch zu organisieren, gewinnt die Administration immer Zeit bis zu den nächsten Wahlen oder wenigstens bis zum nächsten Skandal.
Mir fällt dabei auf, wieviele Begriffe dauernd neu gemacht werden, wie real nichts vorangeht und dass man mit etwas Nachdenken alles einfacher und besser hätte machen können. Auch ist es offenbar so, das Intellektuelle eher in diesem Prozess stecken bleiben, während Politiker dies gerne als Führungskunst sehen.
Thomas Meier, Zürich