![]() Das wirkliche Risiko war die euphorisierte Classe politiqueVon PETER KNECHTLI
"Häring war Stossender
Der Angeklagte Markus Häring konnte einem leid tun, wie er sich allein vor dem Gericht zu verantworten hatte, wofür zahlreiche Andere – Politiker, Energieunternehmer, Energie- und Erdbebenfachleute – ebenso ihre Mitverantwortung tragen. Hätte der Staatsanwalt sie alle anklagen wollen, hätte sich das Gericht in einer Turnhalle einrichten können. 21. Dezember 2009
![]() "Birgt das AKW Fessenheim weniger Risiko?" Der Kommentar von Peter Knechtli erweckt den Eindruck, die Politik sei euphorisiert in das Projekt Geothermie eingestiegen. Dieser Eindruck ist falsch. Richtig ist, dass die Politik in der Schweiz in Energiefragen zehn satte Jahre geschlafen hat. Und nun aufgewacht ist, nach einem wilden Traum, mit einem wüsten Ende, könnte man vielleicht sagen. Sehen wir uns die Sache bei Licht an. Das Experiment Geothermie war notwendig und deshalb richtig. Was ist die Alternative, muss man an dieser Stelle fragen. Kann es sein, dass wir unser Energieproblem mit einem technologischen Rückschritt ins 19. Jahrhundert mit dem Einsatz von Kohle lösen? Es hat geschüttelt. Ja und? Mehr als Sachschaden und ein bisschen Schrecken? Der Respekt vor einem grossen Beben in unserem dicht besiedelten Lebensraum ist berechtigt. Aber denkt jemand daran, dass im selben erdbebengefährdeten Oberrheingraben das altersschwache Atomkraftwerk Fessenheim steht? Ist das weniger Risiko? Soll etwa das die Lösung unseres Energieproblems sein – eine Technik, die so grosse Risiken birgt, dass sie sich nicht einmal versichern lässt und die in über 30 Jahren ihr Abfallproblem nicht ansatzweise lösen konnte? Kann zudem wahr sein, dass der Mensch zwar in der Lage ist, auf den Mond zu fliegen, es aber nicht schafft, einen unerschöpflichen Energievorrat in wenigen Kilometern Tiefe anzuzapfen? Nein, das kann es nicht gewesen sein! Deshalb ein dreifaches Hoch auf alle mutigen Pioniere dieser Welt. Nur sie bringen uns weiter, das war schon immer so. Isaac Reber, Landrat Grüne, Sissach "Vielleicht war dieses kleine Beben ein grosses Glück" Peter Knechtli sprich unter anderem von " dramatischen Folgen" dieser Bohrung. Wie sieht das eigentlich beim genauen Betrachten aus? Kein Geringerer als Professor Dennis Meadows* sagte zum Geothermie-Erdbeben: "Niemand aber nahm ernsthaften Schaden. Trotzdem wurde das Projekt eingestellt. Und jetzt baut ihr lieber neue AKW? Wir alle wissen, wenn es einen Unfall gib, dann sterben Tausende. Das ist doch verrückt: Ihr stoppt eine viel versprechende Technologie ... und eine andere Technologie (die der Atomkraftwerke. Anm. des Verfassers) fördert ihr wohlwissend, dass sie Tausende töten kann. Verrückte Idee."
Zudem würden nicht nur Tausende sterben, sondern riesige Gebiete für abertausende von Jahren unbewohnbar werden. Dann "Ade Du mein lieb Heimatland." Vielleicht liegt das Ganze sowieso anders. Vielleicht war es ja sogar ein grosses Glück dieses provozierte kleine Beben. Es könnte doch sein, dass dadurch ein stärkeres hat vermieden werden können.
Natürlich habe ich auch Respekt vor einem Erdbeben, aber auch vor anderen Gefahren wie der Klimaerwärmung, (Stichwort Permafrost, grössere und häufigere Unwetter, Dürre) und eben vor allem der Atomkraftwerke.
* Verfasser unter anderem der Studie "Grenzen des Wachstums", 1972. Viktor Krummenacher, Bottmingen "Gab es nicht auch handfeste Interessen?" (Herr Knechtli schreibt: "Mit dem Freispruch für den verantwortlichen Projekt-Manager ist aber ebenso klar: Auch politisch ist für die Erdstösse niemand verantwortlich. So künstlich die Beben durch die hydraulische Wasser-Injektion herbeigeführt wurden, so offensichtlich entpuppen sich heute die dramatischen Folgen als Naturereignis: Keiner konnte die Wahrscheinlichkeit starker Beben und die möglichen Folgen zuverlässig voraussagen. Die gewählten Sicherheitsmodelle entsprachen dem Stand der Technik – und deshalb wurde gebohrt.)
Zum einen muss man die Frage stellen, ob wirklich die ganze „Classe politique" euphorisiert war. Zweifel sind wohl angebracht. Auch sonst muss man aber mehrere Fragenzeichen hinter die Ausführungen von Herrn Knechtli setzen. Ging es damals um zuverlässige Erdbeben-Voraussagen? Das ist wohl die falsche Fragestellung. Richtiger wäre die Frage, ob jemand mit stärkeren Beben rechnen musste (oder gerechnet hat). Wenn ich die Berichterstattung von damals richtige verstanden habe (Dementis sind mir keine bekannt), dann hat der ehemalige Kantonsgeologe Peter Huggenberger sehr wohl auf die Möglichkeit von stärkeren Beben hingewiesen.
In der NZZ vom 26.01.2007 war zu lesen: "Obschon (Barbara) Schneider erklärte, es gehe in der jetzigen Phase der Analyse nicht um Schuldzuweisungen, war doch zu erkennen, dass hinter den Kulissen offenbar ein Schwarzpeterspiel im Gange ist – und zwar um die Frage, ob das Erdbebenrisiko angemessen eingeschätzt worden ist und wer dafür verantwortlich zeichnete. Obschon die Abklärung der Seismizität keine Voraussetzung für die Erteilung einer Baubewilligung bildet, hat man das entsprechende Risiko untersuchen lassen, wie der Leiter des Amts für Umwelt und Energie, Jürg Hofer, auf Anfrage erklärte. Die Aufgabe sei, wie bei Bauvorhaben üblich, von der Bauherrschaft, der Geopower AG, übernommen worden, die ihrerseits ein privates Büro (Gruner) beauftragt habe, im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung die seismischen Gefahren abzuklären. Als der Bericht eintraf, habe man den Kantonsgeologen, Peter Huggenberger vom Geologisch-Paläontologischen Institut, beigezogen, da es keine Behörde gibt, die für Fragen der Seismizität zuständig ist. Huggenberger habe die Analyse sodann abgesegnet, in der unter anderem zu lesen war, dass die Wahrscheinlichkeit einer Wahrnehmung von Erschütterungen an der Erdoberfläche «extrem klein» sei. Die Frage der Befangenheit der privaten Experten scheint kein Diskussionsthema gewesen zu sein. Huggenberger, der zur Pressekonferenz nicht eingeladen war, wehrt sich gegen diese Darstellung der Dinge. Er berate den Kanton in geologischen Fragen, meint er im Gespräch, verfüge aber über keine Weisungsbefugnis und habe auch nie die Verantwortung für die Abklärung des Erdbebenrisikos übernommen. Aufgrund seiner Erfahrungen im Bereich der Erdbebenvorsorge-Projekte in der Region Basel wäre er, wie er betont, auch nie auf die Idee gekommen, leichtfertig eine Äusserung über das Erdbebenrisiko des Projekts zu machen; er hätte im Gegenteil darauf hingewiesen, dass Erdbeben der Magnitude 4 bis 5 in der Literatur bei Einpressungsversuchen durchaus dokumentiert seien. Besagte Risikoanalyse sei auch gar nicht über ihn gelaufen. In seiner Stellungnahme zum Geopower-Bericht hebt Huggenberger im Übrigen hervor, dass der Schweizerische Erdbebendienst erst auf sein Insistieren hin von der Projektleitung mit der seismischen Überwachung der Klüftung beauftragt worden sei; er habe damit sicherstellen wollen, dass eine unabhängige Instanz im Projekt involviert sei."
Nach diesem Bericht der NZZ durfte man zumindest in Frage stellen, ob die Sicherheitsmodelle der Firma Gruner "dem Stand der Technik" entsprachen. Die Bauerherrschaft Geopower AG hat dies behauptet und behauptet dies noch immer. Aber wer hat dies überprüft damals? Wer im Baudepartement hat bestätigt, dass die Firma Gruner nach dem neuesten Stand der Technik die Erdbebenrisiken abgeklärt hat? Und wer hat in den Ratschlag 9262 folgendes geschrieben? "Induzierte Seismizität (künstliche Erschütterungen) durch das Hot-Fractured-Rock Verfahren ist messbar. Die Mikroseismizität ist für die räumliche Erfassung des unterirdischen Wärmespeichers sogar essentiell. Diese Erschütterungen sind energetisch jedoch mehrere Zehnerpotenzen geringer als das kleinste spürbare Erdbeben und können keine Schäden an der Oberfläche verursachen. Sie könnten im schlimmsten Falle natürlich aufgestaute Spannungen vorzeitig lösen." Der Grosse Rat hat auf Grund dieser Information der Experten dem Kredit für das Deep Heat Mining-Projekt zugestimmt, obwohl zumindest nach der Recherche der NZZ schon vor der Kreditbewilligung klar war, dass es zu entsprechend starken Beben kommen könnte, so wie sie dann auch eingetreten sind. Es ist im Moment davon auszugehen, dass im Prozess des Bewilligungsverfahrens Fehler gemacht wurden. Ob hier nur Euphorie die Ursache war oder auch handfeste materielle Interessen von Bedeutung waren, das wäre abzuklären. Auch nach dem Prozess gegen Herr Häring bleiben wohl einige Fragen ungeklärt. Urs Schmidlin, Riehen "Wo war die Classe politique am Prozess?" Dem ausgezeichneten Kommentar von Peter Knechtli ist nur noch Eines beizufügen: Wo wäre die Classe politique gewesen, wenn das Geothermieprojekt erfolgreich verlaufen wäre? Sie hätte sich an vorderster Front in Scharen am Erfolg gesonnt und Markus Häring auf die Schultern geklopft. Wo war sie am Prozess? Vornehm abwesend und Markus Häring wurde alleine gelassen. Karl Willimann, SVP Landrat, Füllinsdorf "Dringender Handlungsbedarf" Ich habe mich immer über die schiere Hysterie nach den durch das Geothermie-Projekt verursachten Erdstössen gewundert. Ohne Zweifel, ein Erbeben ist immer etwas Furchterregendes, besonders in Basel. Aber was passiert, wenn es in Basel wirklich wieder einmal richtig rumpelt, wie im Jahre 1356? Der grosse Lärm um die künstlich verursachten Deep Heat Mining-Beben steht im Gegensatz zur trügerischen Ruhe, in der wir uns bezüglich natürlicher Beben befinden. Über die Fragen eines natürlichen Erdbebens des Ausmasses vor 650 Jahren herrscht das grosse Stillschweigen, die bequeme Verdrängungsstrategie. Tausende Todesopfer, zehntausende Verletzte und Milliardenschäden wären die Folgen. Allein die Gebäudeschäden würden über 50 Milliarden Franken betragen.
Wäre Basel darauf vorbereitet? Fortschrittliche Baunormen für die Erdbebensicherung gibt es seit kaum 20 Jahren. Der Versicherungsschutz für die Gebäude ist es sehr gering. Weder die kantonalen Gebäudeversicherungen noch schweizerische Privatversicherer sind in der Lage, die Schäden zu decken. Einzig die berühmte englische Versicherung Lloyd`s kann eine entsprechende Versicherung anbieten. Vorbereitung und Einsatzkonzepte sind nur rudimentär vorhanden. In all diesen Fragen wäre dringender Handlungsbedarf, anstatt nun bei den Projektverantwortlichen oder schon wieder in der Classe politique Verantwortliche für den Geothermie-Flop zu suchen. Aber hier wird uns die Staatsanwaltschaft nicht weiter helfen können. Otto Kunz-Torres, Basel |
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