Gibt es eine richtige Art zu streiten?
Streit ist wirklich nicht so mein Ding. Immer wieder in meiner politischen Arbeit frage ich mich: Wie ist ein Mensch, der nicht gerne streitet und Harmonie liebt, eigentlich in die Politik geraten? Meine Antwort: Irgendwo, liebe Jo, bist Du falsch abgebogen.
Naja, here we are. Und nach einer Woche voller Politik und Streitereien, die vor allem im Wahljahr den Gipfel der Absurdität erreichen, stellt sich mir vor allem eine Frage: Kann man "richtig" streiten? Eine gute Art, jemandem die eigene Meinung um die Ohren zu hauen – gibt es das?
Ich bin sicher, ein paar von Ihnen sagen jetzt, ohne zu zögern, ja. Vielleicht weil sie in einem Umfeld sozialisiert wurden, das sanft und respektvoll streitet. Oder aber, weil Wutausbrüche quasi zu ihnen gehören, und genauso schnell abebben, wie sie ausbrechen.
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die extrem laut und hässig streiten kann. Da kocht schon einmal ein Vulkan, es entstehen Tränenkanäle, und krasse Wortbrocken fliegen durch die staubige Luft. Aber auf den Ausbruch folgt bald auch Ruhe. Die Tränenflüsse trocknen aus, die Wortbrocken werden eingesammelt. Manchmal wird der zerschlagene Weg geflickt, manchmal ein Umweg gebaut – im Einverständnis aller.
Die Wut und vor allem die Energie gehören für mich zum Streit.
Die Ausbrüche hinterlassen durchaus auch Verletzte, aber keine Wunden, die sich nicht wieder heilen liessen. Die Wut und vor allem die Energie dahinter – sie gehören für mich zum Streit. Sie führen aber auch dazu, dass ich mich jeweils im Nachhinein selbstkritisch hinterfrage.
Ich wäre gerne ruhiger beim Streiten, und doch gelingt es mir kaum. Es gibt diese beinahe schon stoisch sachlich Streitenden. Sie sind zwar in ihren Worten deutlich, bleiben dabei aber ruhig und monoton und werfen anderen immer vor, zu emotional zu werden.
Das ist für mich auch nicht die ideale Art zu streiten. Insbesondere wenn nur eine Person sich dieser gelassenen Wut hingibt, wirkt es herablassend und irgendwie "mee besser". Ich meine, ein bisschen Emotionen gehören beim Streiten dazu. Nur, wie wenig ist genug, und wie viel ist zu viel?
Darauf habe ich keine Antwort. Zum Glück führt auch nicht jede politische Meinungsverschiedenheit direkt zu einem Streit. Mal mehr, mal weniger. Oft ist der Grund für sehr aufgeladene Diskussionen eine starke persönliche Betroffenheit oder grosses persönliches Engagement.
Bei ganz hässigen Debatten geht es meistens um Parkplätze, Steuern oder Bäume.
Im Grossen Rat geht es bei ganz hässigen Debatten übrigens meistens um Parkplätze, Steuern oder Bäume. Und die Streitigkeiten ziehen sich nicht nur entlang der politischen Lager. Immer wieder gibt es auch innerhalb von Gremien grosse Dispute – wie im echten Leben halt.
Während das Rathaus uns mit "Wo Einigkeit ist, da wohnet Gott" gelobt, habe ich in meinen sechs Jahren Politik gelernt zu streiten und dann aber auch wieder über Auseinandersetzungen hinwegzusehen. Uneinig zu sein und danach versuchen, eine andere Einigkeit zu finden. Den Vulkan ausbrechen zu lassen, sich aus dem Weg zu gehen und sich schliesslich wieder zu begegnen.
Am Ende ist es eben doch wie in meiner Familie.
Welche Art des Streitens dabei richtig ist, weiss ich nicht. Aber zu sagen, dass der Streit mich verletzt hat, das ist wohl die viel wichtigere Erkenntnis.
1. Juli 2024
"50 x besser streiten"
Da hat doch Obmudsmann Thierry Moosbrugger kürzlich ein Buch mit dem Titel "50 x besser streiten" herausgegeben. Frohe Lektüre!
Gilbert Thiriet, Basel
"Kokreativ und konstruktiv"
Streiten ist und kann gut tun. Im Rahmen von kokreativ und konstruktiv vereinbarten Regeln. Und verbindlich mit dem Ziel von einvernehmlich gemeinsam getroffenen Entscheidungen. Für Lösungen, die zu 100 Prozent allen und allem bestmöglich gerecht werden können. Und dafür braucht es eine ganz andere als die Politik im gewohnten Links-Mitte-Rechts-Machtschach-Kampfmodus.
Ueli Keller, Allschwil