Im Kommunikations-Dschungel – holt mich hier raus!
Kennen Sie es auch? Das schlechte Gewissen, das einen plagt, wenn eine Nachricht zum zweiten Mal im Mailfach landet. Mit der Nachfrage, ob die erste Mail angekommen sei?
Ich kenne das leider nur zu gut! Man kann mir vorwerfen, ich sei nicht bestens organisiert. Das stimmt. Und gleichzeitig gebe ich mein Allerbestes, um diese Kommunikations-Sackgassen meinerseits möglichst zu vermeiden.
Wäre es nur der Mail-Ordner, würde es mir vielleicht sogar gelingen. Aber dieser ist längst nicht mehr der einzige Ort, wo Anfragen, Nachfragen, Einladungen und Jahresberichte lauern. Und sogar im digitalen Zeitalter freut sich jede Politiker*in noch immer über den Sonntag ohne Post. Wie Mr. Dursley bei Harry Potter. Dann quillt der analoge Briefkasten wenigstens an einem Tag nicht über, und der Berg der ungeöffneten Post hört während 24 Stunden auf zu wachsen.
In der digitalen Welt gibt es keinen Zustellungs-Stopp. Da blinkt das Mail, piepst das Teams, vibriert der Messenger, und es jubelt das Projektmanagement-Programm. Andauernd!
Es piepst, brummt, kreischt, hupt und zuckt einfach nur noch den lieben langen Tag.
Während sich WhatsApp mittlerweile zu einem zweiten Mail-Programm entwickelt hat und auch erstaunlich organisiert bleibt (Wo bleibt die Ordner-Funktion, liebes Meta?), versinke ich in jedem anderen Kommunikationskanal im totalen Chaos. Es ist ein Strudel von Pendenzen, der mich ins Verderben zieht.
Mit jedem Engagement kommt ein neuer Kommunikationskanal hinzu, und das hört ja nicht einmal in der Freizeit auf. Denn seit den Bad News zum Datenschutz von WhatsApp kommunizieren jetzt auch noch alle Freund*innen und Verwandten, je nach Verschwörungs-, Politik- oder sonstiger (ökonomischer) Präferenzen auf einer anderen App.
Jeder Verein nutzt eine neue Plattform, und überall besteht die Möglichkeit, einen Push einzustellen. Es piepst, brummt, kreischt, hupt und zuckt einfach nur noch den lieben langen Tag.
Eigentlich sollte man ja auch noch arbeiten. Eine Studie, so hat mir ein Freund erst gerade erzählt, belegt nämlich, dass jede Vibration eines Handys oder jedes Geräusch einer ankommenden Mail, selbst wenn man den Blick nicht von der Arbeit abwendet, uns bis zu 15 Minuten ablenkt. 15 Minuten!
Dieses endlose Kommunizieren auf tausend Kanälen – es soll uns wohl produktiver machen. Und in gewisser Weise tut es das ja auch. Es hat die Grenzen von Arbeit und Freizeit verwischt und aktiviert in jeder Sekunde der Wach-Phase den Fight and Flight.
Analog zu kommunizieren, ist langlebiger und damit auch nachhaltiger.
Dagegen könnte man schon etwas tun. Zum Beispiel den Hinweis "Nicht stören" einschalten oder den Push deaktivieren. Dann aber wären wir wieder im Unzuverlässigkeits-Modus. So verpasst man garantiert eine wichtige Termin-Umfrage in einem Chat. Es ist ein Teufelskreis.
Die sichtbaren Pendenzen geben uns wenigstens Klarheit darüber, was wir noch zu erledigen haben. Donnerstag, 18:00 Uhr, 245 ungeöffnete Mails, 10 WhatsApp-Nachrichten und 40 Briefe in der Post. Ein abbaubarer Stapel. Hingegen bringen mich die Überraschungen hinter den anderen digitalen Kommunikationsmöglichkeiten fast um den Verstand. Wie Sisyphus, aber mit einem unsichtbaren Stein.
Bei all den vielen und oftmals überfordernden digitalen Tools, die uns heute im Kommunikations-Dschungel zur Verfügung stehen, wächst in mir die Überzeugung, dass die altbewährte analoge Kommunikation immer wichtiger wird: Soziale Kompetenzen gewinnen überall an Bedeutung.
Analog zu kommunizieren, ist langlebiger und damit auch nachhaltiger. Das spüren wir in den so wichtigen Gesprächen mit Freunden, Bekannten und auch Unbekannten. Sofern wir es schaffen, die Termine mit Freund*innen zu priorisieren. Denn im schlimmsten Fall gehen auch die Nachfragen der Freund*innen im Kommunikations-Dschungel unter.
3. Juni 2024
"Eine Brieftaube schicken"
Eigentlich braucht es nur ein bisschen Mut und Selbstvertrauen. Denn ich denke, wenn jemand wirklich etwas wichtiges von Jo Vergeat will, ihr einen Termin mitteilen oder eine Nachricht senden möchte, dann wird das irgendwann gelingen. Halt einfach nicht innert Stunden.
Man könnte zum Beispiel einen Brief schreiben. Oder anrufen (falls man nicht gerade Max Kaufmann heisst) oder eine Brieftaube schicken oder an der Türe klingeln. Wäre man nur noch so erreichbar, würden sich die Newsüberbringenden vermutlich zweimal überlegen, ob das jetzt wirklich wichtig ist und Jo Vergeat das innert der nächsten Sekunden wissen sollte.
Ich habe nicht mehr lange in der Business-Welt zu tun. Für die Zeit nach meiner Pensionierung liegt bereits ein Nokia-Handy bereit, und ich freue mich auf den Moment, in dem ich LinkedIn abschalten kann (denn ich glaube, ich kann ohne die "Congrats-Orgien" leben).
Aber eben, es braucht Mut und Selbstdisziplin. Und jetzt muss ich aufhören, denn soeben habe ich eine WhatApp-Nachricht erhalten ...
Daniel Thiriet, Riehen
"Nicht mehr mitmachen"
Ein Paradox: Es wird immer noch aufwendiger und immer noch mehr und immer noch perfekter kommuniziert. Und immer mehr Menschen scheint es immer weniger zu gelingen, sich zu verständigen. Aus diesem Kommunikations-Dschungel kann jede und jeder sich nur selbst raus holen. Weise werden: schlicht und einfach nicht mehr mitmachen.
Ueli Keller, Allschwil
"Es bräuchte eine Zentral-App"
Was Jo Vergeat aufgreift, ist ein echtes Problem: das schlechte Gewissen, auf irgendeinem Kanal eine Nachricht nicht beachtet/quittiert/beantwortet zu haben, begleitet mich permanent. Natürlich sind analoge Kommunikation und persönliche Gespräche etwas Schönes – doch dafür fehlt oft die Zeit (oder die Terminabstimmung strandet in einem der Kommunikationskanälen ...).
Schon lange dachte ich, es bräuchte eigentlich eine Zentral-App, in der alle Nachrichten inkl. Mails gesammelt betrachtet und verwaltet werden könnten. Falls jemand aus der Praxis ein taugliches Tool kennt, bin ich dankbar für Hinweise.
Gabi Mächler, Basel