Mit Eric Nussbaumer im Europapark
"Tickets! Die Tickets, bitte!"
"Du hier, Christoph?", fragt Eric Nussbaumer ungläubig, als er den Billettkontrolleur, einen älteren Herrn, am Eingang erkennt. Christoph Blocher antwortet: "Ich kontrolliere hier nur, wer nach Europa kommt und wer nicht. Übrigens seit 1992."
Nussbaumer, Pfadiname Turbo, ist immer noch baff: "Du? Ein Türsteher?" Blocher grinst: "Das können wir hinterher bilateral klären. Bis später."
Ich bin auf Reportage für mein Blatt, "La monda – il mondo feminile", und darf den Nationalratspräsidenten aus dem Baselbiet auf einen Ausflug begleiten. Dorthin, wo seine Träume leben. In den Europapark in Rust.
Die "Horizon 2026" ist eine Geister-Achterbahn. Von Meisterhand gebaut, von Leyen geführt.
Nussbaumer will die neue Bahn im Themenbereich Grimms Märchen erleben. Die "Horizon 2026" ist eine Geister-Achterbahn. Von Meisterhand gebaut, von Leyen geführt.
"Horizon 2026", denke ich, klingt irgendwie nach EU-Forschungsprojekt und FCB-Geheimplan. Passt sowohl zu Nussbaumer als auch zum einstigen Serienmeister. Beide wollen unbedingt nach Europa, kriegen es aber einfach nicht auf die Reihe.
Wir zischen los. Die Fliehkraft drückt uns in die Sitze. Wir rauschen durch die Sagen unserer Zeit. Durch die Berner Stadtmusikanten, Jans im Glück, das tapfere Schneider-Schneiterlein, Rotlöckchen und der böse Thomi, Hänsel und Sibel. Letzteres ein gutes Beispiel für gelungene feministische Aussenpolitik.
Dann wirds gruselig. Wir schliddern hinein in das Märchen des grossen Austauschs. Darin verdrängen skrupellose Migranten die Weisen aus dem Abendland, vermischen sich mit ihnen genetisch und zersetzen: Die Nationale Aktion (DNA).
Mit hundert Sachen preschen wir durch einen Kreisel und zweigen dann zweimal stark rechts ab. Entworfen hat diesen Teil der Geisterbahn der österreichische Remigrations-Architekt Martin Sellner. Ein identitärer Künstler, der wenig für Kreisverkehr, jedoch viel für ungebremsten Rechtsverkehr übrig hat. So bleibt die DNA schön sauber, schön bio.
Ich frage mich: Solidarisch oder solid arisch?
Derweil hält ihm eine Baselbieter Doch-nicht-SVP-Landrätin die Parkplätze frei. Ich frage mich: Solidarisch oder solid arisch? Bio, ich glaube bio.
"Herr Nussbaumer", frage ich, während mir auf wilder Fahrt beinahe die leckeren Pralinen von Brändli hochkommen, "es wirft uns fast aus der Bahn, aber ein Binnenmarkt ist noch nicht in Sicht. Müssen wir denn zwingend in die EU?"
"Wir können politisch alles Mögliche ändern, nur nicht die Geografie. Wir sind ein Teil Europas, also sollten wir auch Teil Europas sein."
"Viele befürchten, die Schweiz würde sich in kürzester Zeit als Nettozahlerin etablieren. Entsprechend gehen die Meinungen auseinander."

"Ungarn ist doch auch in der EU." © Illustration by Alessandro Ballato.
Nussbaumer nickt, während man seinen Backen die Schwerkraft unschwer ansieht: "Das sehen Sie so, aber okay, Pluralität der Meinungen ist der Motor der Demokratie."
"Nur würde die EU wohl an ihrem eigenen Aufnahmeverfahren scheitern, weil sie nicht demokratisch genug ist."
"Orbans Ungarn ist doch auch in der EU. Wo ist das Problem?"
Abrupt endet die Schussfahrt. Eine Fahrt ins Blaue mit schauerlichen Passagen. Nussbaumer steigt aus, ist noch etwas wackelig auf den Beinen, scheint Sternchen zu sehen; zwölf goldene Sternchen.
Als er nach ihnen greifen will, steht da der Christoph aus Herrliberg mit einem breiten Grinsen. "Hast du was bemerkt, Eric? Du warst lange unterwegs. Hast viele Kurven genommen. Bist mit hoher Geschwindigkeit durch Fantasia gedonnert, bist immer im Kreis gefahren – und nun zurück auf Feld eins."
Kreisverkehr? Wenn das der Sellner wüsste.
24. Mai 2024