Schmutziges Geld und Chefredaktoren
"Wer in Basel will denn schon ein Hallenbad mit 50-Meter-Becken? Okay, in einen 50 Meter langen Whirlpool würde ich investieren."
Meine stinkreiche Schwägerin Cinzia erzählt von ihren grossartigen Geschäftsideen. Sie hat morgen Geburtstag und deshalb in ihre neue Villa in Morcote geladen. Das Anwesen am Lago di Lugano habe sie eben erst von einem Herrn Vinzens erworben. Soll Pech gehabt haben, der Herr. Inzwischen sei er reif für die Eisen. Die vorm Fenster.
Ich ärgere mich, dass ich als Erste eingetroffen bin. Das macht mich zum Ziel ihrer generösen Auskünfte über ökonomisch sinnvolles Handeln. Unausstehlich. Wie Cinzia eben ist.
Nach einem Schluck Prosecco sagt sie mit erhobener Nase: "Der Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank."
"Du zitierst Brecht? Liest du sowas?" Ich bin erstaunt.
"Nein, mir imponiert bloss die Geschäftsidee."
Goldminen, Diamantenminen, Kakao-, Baumwoll- und Teeplantagen – für gewöhnlich steigen die Chancen auf dem Kinderarbeitsmarkt, wenn Cinzia investiert.
Ein Kindergarten ist bereits überbesetzt: der Sünneli-Kindergarten.
Das muss man ihr lassen. Cinzia ist kreativ, wenn es darum geht, ein neues Geschäftsfeld zu erschliessen. Kürzlich ist sie ins Kita- und Kindergarten-Geschäft eingestiegen. Ein Kindergarten ist bereits überbesetzt. Der Sünneli-Kindergarten. Geführt wird er von General Johannes Sutter und es plärren herum Peter Riebli, Andi Trüssel, Dominik Straumann, Löckchen Sollberger, Caroline Mall und Sarah Regez.
Cinzia mag neben dem Geschäftlichen vor allem die schönen Dinge des Lebens. Die Villa in Morcote ist nicht die einzige in Familienbesitz.

Skrupellose Geschäftsfrau: Cinzia. © Illustration by Alessandro Ballato
Sie schlürft eine Auster und prostet mir mit einem Glas Prosecco zu: "Ich muss dir mal unser Anwesen in Benahavis bei Marbella zeigen. Mein Urgrossvater hat es von Franco, einem sympathischen Kollegen, erworben."
"Franco?", frage ich. "Franco Costanzo, der Gynäkologe und Fussballgoalie? Franco Cavalli, der Onkologe und Vorzeigesozi?"
"Francisco Franco, der Tyrannosaurus Rex Spaniens. Urgrossvater hatte sich 1938 ein paar Extramark im Goldhandel verdient. Die galt es anzulegen."
Ich schaudere: "Extramark? Du meinst Reichsmark. Dein Urgrossvater machte also Geschäfte mit einem der hoffnungsvollsten Diktatoren seiner Zeit. Alles andere als ein Demokrat."
"Ach, diese überbewertete Demokratie. Was könnte denn die Demokratie für die Reichen und Mächtigen attraktiv machen? Jene Demokratie, die ihre Macht einschränkt und bedroht?"
Ich bin verwirrt und stammle: "Ääh, nichts?"
"Precisamente cara Carmela. Demokratie ist etwas für das gemeine Volk. Tue der Starke, was er könne, und erleide der Schwache, was er müsse."
"Sagt Donald Trump?"
"Thukydides, ein griechischer Historiker", löst Cinzia auf.
Nach Cinzias historischem Rundumschlag versuche ich, ihr Interesse für Historisches aus der Region Basel zu wecken. Kürzlich erschien "Das Blatt der Patrioten" von Roger Blum, die Geschichte der Basellandschaftlichen Zeitung. Ich frage: "Könnten Geschichtenbücher nicht auch ein interessantes Feld für Investitionen sein?"
Patrick Marcolli mag keine Geschichten, in denen er nicht vorkommt.
"Igitt." Cinzia streckt die Zunge raus und rollt mit den Augen. Als sei sie nahe am Kollaps. Sogar der aktuelle Chefredaktor der Basellandschaftlichen Zeitung habe sich geweigert, über dieses Machwerk zu schreiben.
Das wolle was heissen. Patrick Marcolli, der Literat unter den Chefredaktoren. "Seine Literatur gehört zum Besten, was Marcolli je hervorgebracht hat", ist Cinzia überzeugt, "er ist Historiker, hat Geschichten studiert. Und er mag keine, in denen er nicht vorkommt." Blums Lüdin-Memoiren enden 2011.
Cinzia setzt mehr auf Handfestes. Sie bringt ihren Mann, meinen Bruder also, ins Spiel. "Cosimo hat ein neues Geschäftsfeld entdeckt. Er investiert nun in eine Munitionsfabrik, die Patronen herstellt. Ein Produkt, dem eine immense Nachfrage gegenübersteht." Einmal puff und neue brauchts.
"Muss das sein? Findest du das ethisch vertretbar? Ich würde zumindest auf Tintenpatronen umschwenken."
"Nein, das wäre dann doch zu viel des Guten. Mit Tintenpatronen kann man sich die Hände schmutzig machen."
"Prost, Cinzia."
23. April 2024