Sie randalieren wieder, diese grossen Kinder
Krawalle hüben und drüben. Nach Zürich nun auch Basel: Sie besetzen Häuser, schlagen Fenster ein und zünden Autos an. Jugendliche und junge Erwachsene spielen Räuber und Bulle mit der Polizei, in echt, sozusagen. Und sofort wird analysiert, warum sie dies tun, es hagelt Schuldzuweisungen hüben und drüben. Und die Ursachenforschung gibt bekannt:
- Den Jungen werden zu wenig Grenzen gesetzt;
- Es sind die Patchwork-Familien;
- Es sind die alleinerziehenden Mütter;
- Es ist der Migrationshintergrund;
- Es ist die Jugendarbeitslosigkeit
Hauptsache, die Ursachen sind erst mal klar. Und zweite Hauptsache: Sie betreffen einen nicht selber. Dumm nur, wenn der eigene Sprössling doch mit drin steckt – aber dann hatte er halt einen schlechten Umgang aus dem obigen Umfeld.
Bevor wir uns nun aber zufrieden zurücklehnen und über die andern herziehen, werfen wir doch einen kurzen Blick in die Vergangenheit: 1978 hatten wir in Basel erste Häuserbesetzungen, anno 1980 kam es mehrfach zu massiven Krawallen, etwa im Juni versuchten 2'000 Personen das Gebäude des Gas- und Wasserwerkes an der Heuwaage zu entern.
Zum Vergleich: Im Mai 2011 besetzten lediglich "Hunderte" von Personen das Kinderspital-Areal, und Basel meinte, die Welt gehe unter. Auch 1981 gab es Demonstrationen zuhauf und massive Sachbeschädigungen. Pflastersteine wurden in der Freien Strasse aus der Strasse geklaubt und in die Schaufenster geworfen. Im Mai fand eine Grossdemonstration mit 7'000 (!) Personen statt. Die Scharmützel hielten an bis Ende der achtziger Jahre. Dann war mehr als zwanzig Jahre lang Ruhe. Und nun fangen sie wieder an.
1980 war ich 25 Jahre alt, gehörte zwar nicht zur Szene, war aber als Studentin hautnah dran. Wir alle, einschliesslich der Aktiven, waren samt und sonders autoritär erzogen worden, haben vor lauter gesetzten Grenzen den Horizont nicht mehr gesehen, unsere Eltern waren nicht geschieden und wir waren Schweizer durch und durch. Wer einen Job wollte, fand ihn sofort, wir hatten Hochkonjunktur. Die Ausländerkinder und die Scheidungskinder hielten sich schön ruhig, wollten ihren Eltern keine Schande machen. Die Aufmüpfigen, das waren wir.
Es drängt sich also der Verdacht auf, dass all die analysierenden Analysten falsch analysiert haben und die obgenannten Ursachen keine solchen sind. Wir wollten Raum, und heute wollen sie Raum. Wir fühlten uns eingeengt, sie offenbar auch. Wir brachen aus autoritären Strukturen aus, und sie brechen aus anderen Strukturen aus.
Wirklich anders ist eigentlich nur eines: Heute gibt es Internet, Blogs und Kommentarschreiber. Jeder greift jeden hemmungslos an. Die Polizei macht alles falsch, ganz egal, was sie macht, was Hinz und Kunz umgehend auf unzähligen Online-Portalen kund tun. In den Achtzigern kriegten nur gerade jene die Krawalle mit, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, alle andern lasen am Folgetag in der Zeitung darüber. Da hatte die Polizei längst in Ruhe ihren Job erledigt.
Was lernen wir daraus? Auch diese Krawalle werden vorübergehen. Die Polizei muss die Bevölkerung und deren Eigentum schützen, und somit den Aufmüpfigen zeigen, wo's lang geht. Auch diese grossen Kinder werden keinen Freistaat Christiania zur Verfügung gestellt erhalten. Auch sie werden erwachsen werden müssen, leider.
3. Oktober 2011
"Gelungener Artikel"
Dieser Artikel ist Dir wieder gelungen. Er spricht mir direkt aus dem Herzen. Hoffen wir das es noch mehr Menschen gibt, die sich dies zu Herzen nehmen und vielleicht etwas weniger unsere Polizei kritisieren. Lehnen wir uns doch mal zurück und denken an unsere Jugend – wie waren wir da?
Priska Keller, Riehen