© Fotos by Ruedi Suter
                
                
                "Das ist ein Drama": Polizeisperre, Tierschützer Franz Weber
                
                
                Geduldete Zugvögel-Massaker in Frankreich
                
Umweltschützer Franz Weber wirft Frankreich Beihilfe zum Vogelmord vor
                
                
                Von Ruedi Suter
                
                
                
                Gewalttätige Wilderer schiessen in der französischen Ardèche unter den Augen des Staates tausende von Zugvögeln vom Himmel. Nun haben französische Vogelfreunde die Hilfe des Schweizer Umweltschützers Franz Weber angefordert. Nicht umsonst: Am Wochenende lud der streitbare Basler die internationale Presse zu einer Informationsfahrt ein – mit Polizeischutz.
                
                Col de l'Escrinet. Strömender Regen. Die Scheibenwischer der Busse und  Polizeiwagen im Konvoi schlagen im Schnellgang das Wasser weg. Zuvorderst hält  sich ein Verkehrspolizist tapfer auf seinem BMW-Motorrad. Ihm wird nachgefahren,  die Bergtrasse hoch zum Col de l'Escrinet. Der 787 Meter hohe Pass zwischen den  Städten Aubenas und Privas im französischen Departement Ardèche ist eine Kampf-  und Todeszone. 
Feuer aus allen Rohren
Der Sattel ist seit  Jahren fest in der Hand von radikalen Vogeljägern. Im März, wenn die  Zugvögelschwärme von Afrika her via Spanien nordwärts fliegen, segeln die  abgemagerten Tiere energiesparend knapp über den Sattel hinweg, um in einem  leichten Sinkflug weiterzuziehen. Das ist der Glücksmoment für die hinter  Laubwerkständen lauernden Vogeljäger: Sie feuern aus allen Rohren, die  Schrotgarben schlagen in die ahnungslosen Vögel und reissen grosse Lücken in  ihre Schwärme. Zu Dutzenden fallen die getroffenen Tiere tot oder verletzt zu  Boden. Es sind viele geschützte darunter und insgesamt an die 130 Vogelarten,  meistens Ringel- und Turteltauben, dann aber auch Mauersegler, Rauchschwalben,  Feldlerchen, Stare, Zeisige, Girlitze, Bachstelzen und sogar Störche sowie  Greifvögel, die so vom Himmel geputzt werden. Und dies selbst nach dem 31.  Januar, wenn in Frankreich und dem EU-Europa die Jagdzeit längst beendet  ist.
Der Staat schützt die Wilderer
Doch das kümmert die  Vogeltöter nicht: Den Wilderern fällt niemand in den Arm, weder die Präfekten  und Polizei, noch die zuständigen Ministerien in Paris. Und dies, obwohl  nationale und internationale Gesetze sowie französische Gerichtsbeschlüsse  vorhanden wären, um das mörderische Treiben auf all jenen Ardèche-Pässen, die  von den Zugvögeln überflogen werden müssen, sofort zu stoppen. 
Doch der  französische Staat kuscht. So ist der Col de l'Escrinet - einer der wichtigsten  europäischen Beobachtungspunkte für Ornithologen, Vogel- und Naturschützer - im  letzten Jahrzehnt mehr und mehr zur rechtsfreien Zone verkommen. Hier herrscht  heute die Willkür der Vogelkiller, und wer sich ihnen entgegensetzt, wird laut  glaubhaften Zeugen mit Drohungen und Gewaltanwendung vom Berg gejagt und bei  Bedarf auch gesellschaftlich fertiggemacht. Besonders den Tier- und  Umweltschützern wird schnell mit Gewalt begegnet.
Franzosen holen  Franz Weber
Deshalb fährt jetzt der Konvoi unter Polizeischutz die  Passstrasse hoch. In den beiden Bussen sitzen Umweltschützer und an die 35  Medienvertreter aus Europa und Afrika. Immer wieder müssen die angeschlagenen  Scheiben klargewischt werden, um einen Blick auf die Landschaft werfen zu  können. Doch dicke Nebelschwaden verhindern die Sicht. Mit im vorderen Bus  sitzen auch die Initianten des riskanten Ausflugs: Der Schweizer Tier- und  Umweltschützer Franz Weber mit Frau Judith und Tochter Vera. 
Die  französische Vogelschutzförderation FRAPNA (Fédération Rhône-Alpes de la Nature)  hatte in ihrer Verzweiflung bei der Fondation Franz Weber um ausländische Hilfe  gebeten. Diese wollte der kampferbrobte Basler trotz seiner bald 74 Jahre der  FRAPNA und anderen französischen Vogelschutzorganisationen nicht verwehren. Da  zu diesem Zeitpunkt auf dem Col de l'Escrinet ein von der Jägern bedrängter  Bauer sein Haus und sein Land verkaufen wollte, versuchte die Fondation im Juni  1999 auf Antrag der FRAPNA das Gelände von der in Frankreich bei  landwirtschaftlichem Boden immer zwischengeschalteten staatlichen Genossenschaft  SAFER zu kaufen (etwa 165'000 CHF). Ziel: Sicherung der Vogelzüge und  Einrichtung eines internationalen ornithologischen Forschungszentrums.  
Afrikanische Medien eingeflogen
Doch die SAFER verkaufte  das strategisch wichtige Gelände - an die Vogeljäger. Webers darauf folgende  Protestschreiben und Hilfsrufe an die französische Umweltschutzministerin  Dominique Voynet, Staatspräsident Jacques Chirac und Premierminister Lionel  Jospin blieben bislang ohne Erfolg. Nun lässt er juristisch einen Rekurs wegen  Verfahrensfehler abklären. Gleichzeitig lud er die internationale Presse ein,  sich am 17. März 2001 selbst ein Bild "vom feigen und illegalen  Zugvogelmassaker" zu machen. Journalisten afrikanischer Fernsehstationen aus  Togo und Burkina Faso bezahlte er die Reise: Afrika, dem die Industrienationen  besserwisserisch der Schutz seiner Wildtiere nahelegten, dürfe ruhig auch  erfahren, wie ungehindert in Europa die Vögel abgemurkst und das gemeinsame Erbe  der Zugvögel zerstört würden.
Normalerweise dauert die Fahrt vom  Städtchen Aubenas auf den Col de l'Escrinet 20 Minuten. Doch diese Fahrt geht  über Umwege und dauert viermal so lang. Am Vorabend wurde dem Carunternehmen  derart gedroht, dass es für die Journalistenschar nur noch seine ältesten Busse  zur Verfügung stellte. Um Polizeischutz hatte Weber die französische Regierung  persönlich angefragt. Bei dem auch für diesen Samstag vorgesehenen Schützenfest  auf die Zugvögel würden sich die Wilderer wohl nicht einfach stören lassen.  
Viel Regen, keine Vögel
Doch jetzt scheint für die  Tierschützer alles plötzlich zum medialen Desaster zu werden. In diesem Regen  und bei diesem Nebel geht nicht einmal der fanatische Vogeljäger in Stellung, um  auf gut Glück in die Wolken zu ballern. Was, wenn die Wilderer, die Tags zuvor  laut Ohrenzeugen bei klarem Himmel zwischen 7 und 9 Uhr morgens 212 Schüsse  abgaben, so gescheit sind, sich gar nicht blicken zu lassen? Um so Franz Webers  Medienoffensive ins bild- und eindruckslose Nichts stossen zu lassen? Was  dann?
Da bliebe dann einfach die Erinnerung an die Pressekonferenz vom  Vortag im - natürlich auf einen Vogelnamen getauften - Hotel "Ibis" in Aubenas.  An die Brandrede eines plötzlich wieder um Jahre jünger aussehenden  Wortgewaltigen, dem der Schalk aus den Augen blitzte, der aber gleichzeitig auch  mit seinen beiden neben dem Gesicht nach hinten und vorne schwingenden Fäusten  klarmachte, dass nun die Stunde gegen die "debilen Vogelmörder" geschlagen habe  - nur schon darum, weil die schützenswerten Vögel "allen Afrikanern und  Europäern" gehörten. 
"Wir gewinnen die Schlacht!"
O-Ton  Franz Weber: "Das ist ein Drama! Das ist ein Skandal: Seit 18 Jahren kämpfen  hier die französischen Tier- und Umweltschutzorganisationen vergebens um den  Schutz der Zugvögel. Das hier ist der Anfang einer Kampagne, die der  französischen Regierung die Kraft geben wird, ihre eigenen Gesetze anzuwenden  und die europäischen Richtlinien zu respektieren. Wir werden diese Schlacht  gewinnen, weil wir alle Mittel ausschöpfen, um den Wilderern das Handwerk zu  legen. Wir werden sie kriegen!"
Erinnern würde man sich auch an die  Schilderungen der Vertreter der französischen Vogelschutzorganisationen wie  Allain Bougrain Dubourg und Pierre Athanaze: Vom alarmierenden Schwund der  Tauben von einst 15 Millionen (1980) auf heute 2 Millionen; von der Allmacht der  rund 60 "Extremisten" unter den 13'200 Ardèche-Jäger, welche kein Gesetz  respektierten, Tierschützer mit Todesdrohungen und schikanösen Anschlägen auf  Autos und Heime zum Verlassen der Ardèche zwängen und von der Unmöglichkeit, mit  diesen "Radikalen" einen Dialog zu führen oder die Behörden zum Einschreiten zu  bewegen. 
"Lieber Ordnung als Recht"
Gegenüber  OnlineReports interpretierte der französische Anwalt Eric Posak die  Komplizenschaft des Staats mit den Wilderern als taktisches Kalkül: "Besonders  die Präfekte wollen keine gefährlichen Konflikte. Sie wollen lieber die  öffentliche Ordnung gewährleisten als das Recht durchsetzen, was zu  gewalttätigen Reaktionen der Jäger führen könnte." Dies alles wüsste man, wenn  sich die illegalen Jäger nicht zeigen würden. Immerhin. Den Medien aber fehlte  die Meinung der so massiv Kritisierten, und Filme und Fotos gebe es auch keine.  
Je näher sich der Konvoi seinem Ziel nähert, desto mehr Gendarmen sind  zu sehen. Im Führungsbus dudelt ein Handy. Allain Bograin Dubourg bekommt von  einem Späher der "Ecolos" (Umweltschützer)" mitgeteilt, die aus drei  Departementen zusammengezogenen Gegner seien tatsächlich aufmarschiert.  Erleichterung bei den Medienvertretern und Organisatoren - die Reise war also  nicht umsonst. Die Wagen halten vor einer Kurve - Endstation. Es giesst immer  noch aus allen Kübeln. Doch nun gehts nur noch zu Fuss weiter, vorbei an  Mannschaftswagen der nationalen Bereitschaftspolizei CRS, die mit ihren  Einheiten strategische Punkte am Col de l'Escrinet besetzten. Webers Bitte um  Begleitschutz wurde erhört. Frankreich will nicht riskieren, dass Bilder von  zusammengeschlagenen oder womöglich gar angeschossenen Medienvertretern um die  Welt gehen. 
"Haut ab, ihr Schwuchteln!"
Nach der letzten  Kurve wird die Sicht frei auf den weitgehend vernebelten Pass. Unser Weg führt  sanft hinab zu einem Hügel, der zwischen uns und der Passhöhe liegt. Dort stehen  rund 150 Männer und ein paar Frauen unter farbigen Regenschirmen. Sie stehen an  der Grenze des umstrittenen Grundstücks, zurückgehalten von CRS-Polizisten in  Kampfmontur. Deren Schilder bilden eine talwärts gerichtete Barriere. Hinter der  CRS haben sich die Gendarmen mit ihren Wagen postiert. Sie wollen nur  Medienleute zu den Jägern vorlassen. Um diese nicht zu provozieren, müssen die  französischen Vogelschützer und die Familie Weber weit oben am Hang  zurückbleiben. Als sich die ersten Journalisten den Weidmännern nähern, gibt's  Krach. Petarden krepieren Jagdhörner ertönen, Rufe erschallen: "Haut ab, ihr  Schwuchteln!" 
Joseph Adri D. Gnassengbe, TV-Chefredaktor von Togo, ist  zuerst bei der CRS-Phalanx und bittet die illegalen Jäger, von denen etliche der  extremen Rechten angehören sollen, über die Polizeischilder hinweg um ihre  Meinung. "Ich möchte sie verstehen", sagt Gnassenbe, der an der Pressekonferenz  bereits fragte, weshalb man in Europa die geschossenen und kaum je verwerteten  Vögel nicht alle auch esse? In Afrika würde nur gejagt, um den Hunger zu  stillen. 
"Wir lassen uns nicht erpressen!"
Einer der  Wortführer schreit dem Afrikaner zu, die Medienleute sollten augenblicklich  verschwinden, da sie manipuliert seien und nur immer die Jagd mies machten. "Wir  lassen uns nicht erpressen, wir lassen uns nicht eine uralte Tradition  verbieten!" Die Umweltschützer erklärten zuvor, Vogelmassaker habe es früher  nicht gegeben. Ein Vogelfreund, der die Szene im Regen beobachtete, erklärte  gegenüber OnlineReports, die Wilderei habe auch eine soziale Komponente. Die  Jäger würden auch mit ihren Familien und Freunden die Pässe besetzen,  picknicken, Vögel abschiessen und diese auch schon Mal zu einer Pastete  verarbeiten. Diese Art von Jagd bedeute für eine kleine Minderheit ein  Vergnügen, das mit einem Ferienaufenthalt der Reichen in Saint Tropez verglichen  werden könne. 
Das Gespräch zwischen Journalisten und Jägern erschöpft  sich schnell. Plötzlich fliegen Eier und Äpfel gegen einen Fotografen und ein  Fernsehteam, getroffen wird ein Gendarm. Nach mehr als einer Stunde ist der Spuk  auf dem Col de l'Escrinet vorbei. Triefend nass zieht sich die Medienschar unter  dem Siegesgeheul der Wilderer aus der Kampfzone am Col de l'Escrinet zurück.  Nicht ein Vogel geschweige denn ein Schwarm hat sich in der Ardècher Nebelsuppe  zeigen lassen. Zum Glück für die Medien sind die "Jäger" aufmarschiert, um sich  und der Welt lautstark klarzumachen, dass sie weiterhin nach Lust und Laune  Vögel abschiessen werden. Und das werden keine Tontauben sein - bis der Staat  durchgreift.
                18. März 2001
                
                
                
                
                    
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