Fall Ammann: "Es gab immer wieder Psycho-Terror"
Im Kriminal-Drama um die Familie des ehemaligen Muttenzer Landrates Franz Ammann sagten heute Dienstag seine Tochter und sein Schwiegersohn aus. Der Eindruck daraus: Der Angeklagte betrachtete die Tochter als sein Verfügungs-Objekt, den Schwiegersohn als Nebenbuhler.
Liestal, 19. Oktober 2010
Nachdem der wegen Vergewaltigung und versuchten Mordes angeklagte Ammann sowohl die jahrelangen sexuellen Verfehlungen (von 1995 bis Mai 2002) an seiner Tochter wie auch die Tötungsabsicht bei der Schussabgabe gegen sie bestritten hatte, befragte das Baselbieter Strafgericht heute Dienstagmorgen unter anderem die beiden Opfer als Auskunftspersonen.
Die Milieu-Schilderungen der Tochter, die durch einen Schuss aus der Waffe ihres Vaters beim Hauseingang ihrer Wohnung im Rücken getroffen wurde, ergaben das Bild eines düsteren Familienlebens, das den früheren SD-Politiker schwer belastete.
Was geschah im Hobbyraum?
Während der Angeklagte abstritt, je Gewalt an seinen Kindern verübt zu haben, sagte die Tochter nun aus, er habe sie und ihren jüngeren Bruder mit dem Teppichklopfer geschlagen oder "mit der Holzkelle auf den Arsch" gegeben: "Wir sind ein paar Mal weinend eingeschlafen." Den Vater habe sie als "den Bösen" erlebt, die Mutter als "streng", aber "passiv". Sie habe sich nicht schützend vor die Kinder gestellt, sondern zu ihrem Mann gehalten und ihr, der Tochter, im Alter von elf, zwölf Jahren "einmal den Tod gewünscht". Dies, obschon auch die Mutter Ohrfeigen vom Angeklagten hinnehmen musste.
Auf die eindringliche Frage von Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss, ob sich die jahrelangen sexuellen Verfehlungen des Vaters tatsächlich so abgespielt hätten ("es geht um sehr viel für alle Beteiligte"), beantwortete die Tochter nickend mit einem sicheren "Ja" und bekräftigte ihre schweren Vorwürfe. Für das, was ihr widerfahren sei, wenn sie ihrem Vater "wieder einmal in den Hobbyraum" oder in den Wohnwagen im Tessin folgen musste ("nach so vielen Jahren wird es zur Gewohnheit"), schäme sie sich "zu Tode", sagte sie unter Tränen.
Strikte Kontrolle durch den Vater
Das Opfer hatte nach dem Hals-über-Kopf-Auszug aus der elterlichen Wohnung die grösste Mühe, ihre sexuelle Ausbeutung einer Drittperson anzuvertrauen. Nicht einmal ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann ("sie wich mir ziemlich lange aus") wusste während den ersten neun Monaten ihres Verhältnisses Bescheid über ihre dunkle Vergangenheit.
Gemäss den heutigen Schilderungen kontrollierte Ammann seine Tochter gänzlich: Zum Ausgang mit Freundinnen – als Zugeständnis für die Gegenleistung Sex – wurde sie hingefahren und abgeholt, abends musste sie zur SMS-Kontrolle ihr Handy in der Wohnung deponieren oder über angeblich wahrnehmbares Männerparfüm Rechenschaft ablegen. Die Tochter fühlte sich unter der Obhut ihres Vaters, der ihr auch "Liebesbriefe" schickte, "immer wie in einem Verhör". Auch nach Erreichen des 18. Altersjahres durfte das Opfer nicht frei über ihre Freizeit und Männerbeziehungen entscheiden: "So lange du die Füsse unter meinem Tisch hast, gibts das nicht", habe ihr der Vater zu verstehen gegeben – der Vater, der offensichtlich der Freund der Tochter sein und bleiben wollte.
"Es war immer wieder Psychoterror in der Familie", sagte der Schwiegersohn, der sich beim einzigen zustande gekommenen Kennenlern-Nachtessen darüber wunderte, dass sich der Angeklagte von seiner nettesten Seite zeigte, Duzis machte und insbesondere seine Tochter auf den Mund küsste.
"Die Ängste bleiben"
Doch statt zur Besserung des Verhältnisses kam es zur Verschlechterung und zur totalen Trennung, bis Ammann am 25. April 2004 der Tochter in den Rücken schoss und einen weiteren Schuss durch die Kellertüre feuerte. Wem der Schuss galt, vermochte der Schwiegersohn nicht zu erkennen. Die Tochter sagte aus, die Gewaltbereitschaft ihres Vater sei aus Eifersucht auf ihren Partner entstanden.
Nach dem Spitalaufenthalt der nicht lebensgefährlich verletzten Tochter und der Verhaftung des Schützen war die Gefahr nicht gebannt: Weil dem Angeklagten die Flucht aus der Kantonalen Psychiatrischen Klinik geglückt war, musste das junge Paar erneut um Leib und Leben bangen, weshalb es mehr als ein Jahr im Elsass lebte. Der Schwiegersohn, inzwischen wieder voll arbeitsfähig, sagte vor Gericht über den Angeklagten: "Die Ängste bleiben vor dem Moment, da er wieder vor einem steht."
Ein "neues Leben" beginnt
Der Verteidiger des Angeklagten, der die Verhandlung im Nebenzimmer über Kopfhörer mitverfolgte, stellte der Tochter einige Fragen, die geeignet sein konnten, ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. So radikal, wie der Vater seiner Familie den Kontakt verboten hat, so radikal hat die junge Frau mit ihrer gesamten Familie gebrochen. Dabei will sie auch bleiben: "Wenn das Ganze abgeschlossen ist, fange ich ein neues Leben an."
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