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"Ich möchte keinen Stellvertreter-Konflikt": Gedenkstein auf Basler Friedhof
Sowjetische Soldaten-Zeremonie mobilisiert Bundes-Diplomatie
Russland gedenkt am 9. Mai auf dem Basler Friedhof "Hörnli" gefallenen Soldaten – dieses Jahr politisch brisant
Von Peter Knechtli
Die patriotische Gedenkfeier am 9. Mai durch Russen am Grab gefallener Sowjet-Soldaten auf dem Basler Friedhof "Hörnli" hat eine ruhige Tradition. Dieses Jahr erlangt der Anlass durch Putins Ukraine-Invasion unerwartet politische Brisanz. Die Basler Regierung, mit der Ukraine solidarisch, schaltete die Bundes-Diplomatie ein.
Oben auf dem massiven Steinquader ein Sowjetstern, darunter die Namen von 21 bekannten und zwei unbekannten sowjetischen Soldaten. "Gefallen im Kampf gegen den Faschismus." So nüchtern steht der Grabstein im Abteil 11 zuoberst auf der Hauptachse des Basler Friedhofs "Hörnli".
Praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit nutzt das offizielle Russland auch in der Schweiz jeweils den 9. Mai, dem Sieg der Sowjet-Armee über Nazi-Deutschland und der Kapitulation der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und seiner gefallenen Soldaten zu gedenken. An diesem offiziellen russischen Feiertag pilgern diplomatisches Personal, begleitet von bis zu 200 in der Schweiz lebenden russischen Staatsbürgern, zur Grabesstätte. Meist soll auch der Botschafter zugegen sein.
Wessels: "Leicht absurd"
Vor einigen Jahren war auch der damalige Basler Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels einmal Gast des Anlasses. Wie er sich gegenüber OnlineReports erinnert, war eine "besondere Zeremonie" abgehalten worden. Dem Grab wurde im Beisein von Uniformierten und Botschafts-Angehörigen symbolisch ein Stück Erde entnommen und nach Moskau in ein Mausoleum überführt, das Präsident Putin hatte errichten lassen.
Dem Basler Regierungsmitglied – schweizerisches Understatement gewohnt – kam die Ernsthaftigkeit des Geschehens "wie surreales Theater" und "leicht absurd" vor. Die Friedhofverwaltung nimmt am "Russengrab" (Umgangssprache) jeweils "gegen Kostenfolge" Bestellungen für Trauerflor und Lautsprecheranlage entgegen.
Getrennte Gedenkfeiern
Auch für den bevorstehenden 9. Mai meldete sich eine russische Delegation zum Besuch auf dem "Hörnli". Doch vor dem Hintergrund der von Putin befohlenen Invasion der Ukraine erhält das Zeremoniell unerwartet eine politisch brisante Note, wie "Prime News" vor gut zwei Wochen berichtete. Seit Kriegsausbruch ist Basel-Stadt offiziell Sympathisant der Ukraine, wie die spontane Hissung der blau-gelben Flagge am Rathaus belegt.
Begingen früher Russen und Ukrainer das Gedenken auf dem Friedhof gemeinsam, so kommt es seit einigen Jahren – womöglich seit dem Einmarsch der Russen in die Krim – zu getrennten Anlässen: Die Ukrainer sammelten sich am 8. Mai zum Zeremoniell. Denn unter den 21 Namen befinden sich, was nicht zuverlässig identifiziert werden kann, möglicherweise auch solche ukrainischer Soldaten.
Grabschmuck vereint – nach den Feiern
Um den Russen tags darauf ein jungfräuliches Grab präsentieren zu können, räumten Friedhofgärtner jeweils am Abend zuvor Blumenschmuck, Kränze und Arrangements der Ukrainer beiseite, um die Gaben beider Länder am 10. Mai nebeneinander vereint zu gruppieren. "Beide Seiten akzeptierten das", war aus der Friedhofverwaltung zu erfahren.
Ob das heute, da sich beide Kriegsparteien als "Feinde" bezeichnen, noch so wäre, ist nicht sicher. Emanuel Trueb, als Chef der Basler Stadtgärtnerei für den Friedhof "Hörnli" zuständig, möchte "unter allen Umständen verhindern", dass der Konflikt zwischen prorussischen und -ukrainischen Kräften an den Friedhof herangetragen würde, wie er zu OnlineReports sagte: "Eine Stellvertreter-Auseinandersetzung am Grab von sowjetischen Soldaten möchte ich nicht haben."
Bisher keine ukrainische Anmeldung
Bisher liegt somit nur eine Anmeldung der russischen Botschaft vor – nicht aber von der ukrainischen. Bisher habe sie "noch keine Meldung" erhalten, sagte Tetyana Polt als Präsidentin der Vereinigung "Ukrainer in Basel" zu OnlineReports. Dies könnte darauf hindeuten, dass der ukrainische Gedenktag dieses Jahr ausfällt.
Sicher zu sein scheint, dass dieses Jahr kein Basler Regierungsmitglied der russischen Zeremonie beiwohnen wird. Regierungsrätin Esther Keller, in deren Kompetenzbereich der Friedhof fällt, "hat keine entsprechende Einladung erhalten – weder offiziell noch inoffiziell", wie eine Departementssprecherin auf Anfrage erklärte.
Das dürfte der Regierungsrätin nicht ungelegen kommen, zumal hinter den Kulissen schon nach Lösungen gesucht wird, um zu verhindern, dass der russische Feiertag zu einem Trauertag wird.
Bundes-Diplomatie eingeschaltet
Die Kantonsregierung hat inzwischen das eidgenössische Aussendepartement und seine diplomatischen Spezialisten eingeschaltet. Im Moment laufen Gespräche auf Bundesebene mit dem russischen Botschafter, sagte der Basler Regierungssprecher Marco Greiner zu OnlineReports. "Wir sind darum noch nicht am Punkt angelangt, da wir etwas sagen können."
Auch bei der Kantonspolizei ist derzeit keine proaktive Kommunikation geplant, wie Sprecher Adrian Plachesi gegenüber OnlineReports sagte. Die Polizei sei sich aber "der speziellen Situation in diesem Jahr bezüglich der erwähnten Gedenkfeiern bewusst". Sie werde auf der Basis einer laufenden Lagebeurteilung "adäquate Sicherheitsvorkehrungen treffen".
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27. April 2022