Vom Alltag der Kopfhörer-Zombies
Jedes Gespräch zwischen mir und meinen Freundinnen und Freunden beginnt damit, dass sich erst mal alle die Stöpsel aus den Ohren ziehen. So auch, als ich letztens auf dem Schulweg mit dem Fahrrad den Hügel hochstrampelte und mich eine Kollegin locker mit ihrem E-Bike einholte.
Meine "On-Ears" hatte ich schnell abgestreift, um ihr einen guten Morgen zu wünschen. Sie rang hingegen mit ihren "Air Pods", die sich im Schal verfangen hatten, worauf eines der 200 Franken-Teile in hohem Bogen wegspickte und im Kies neben dem Fahrradweg landete. Statt rechtzeitig im Unterricht zu sitzen, durchkämmten wir den Strassengraben. Danke, Apple.
"Selber schuld, wenn ihr euch ständig abkapselt, anstatt freundlich und aufmerksam durch den Alltag zu gehen, ihr dumpfen Smartphone-Zombies", mahnt die ältere Generation gern. Situationen wie diese sind ein gefundenes Fressen für jene, die unseren übermässigem Kopfhörer-Konsum anprangern.
"Der Konrektor witzelte, ob ich mit
meinen Kopfhörern in Symbiose lebe."
Sogar der Konrektor unserer Schule hielt mich schon im Korridor auf und witzelte, ob ich eigentlich mit meinen Kopfhörern in ständiger Symbiose lebe. Dabei verwechselt er den Wunsch nach ein wenig Ruhe an seiner überfüllten Schule mit demonstrativer Abschottung.
Ein Klassenkamerad bringt neuerdings sein Mittagessen von zuhause mit. Daran wäre nichts weiter speziell, ich mache das seit Jahren. Sogar unser Konrektor macht das. Nicht der mit den Kopfhörern, sein Kollege, um genau zu sein. Bemerkenswert ist aber, dass mein Mitschüler durch die Tupperware-Mahlzeiten Geld in der Kantine sparen will, weil er vorhat, sich die besten "Noise-Cancelling"-Kopfhörer zu kaufen, die auf dem Markt sind. Das sind jene mit aktiver Geräuschunterdrückung.
Nicht dass er uns, seine Freundinnen und Freunde, nicht mehr hören will. Manchmal vielleicht. Aber in der Pause stehen wir draussen im Kreis und hören Musik, aus Handyboxen. Gemeinsam. Ja, das gibt's noch. Wir regen uns dann sogar über die Grüppchen um uns herum auf, bei denen alle einen ihrer "Air Pods" im Ohr stecken lassen.
Beim Reden stellt sich sogar für uns "Smartphone-Zombies" die Frage, ob Kopfhörer angebracht sind. Vor allem sehen die mit einem einzelnen Knopf im Ohr aus, als wären sie die Pausenplatz-Security. Das wäre das Letzte, was unsere "Schule auf der Höhe" vonnöten hätte. Da sind unsere Konrektoren, sowohl der mit den Kopfhörerwitzen wie auch der an der Mikrowelle, natürlich froh.
Wer weiss, vielleicht spart er an der Mikrowelle auf dieselben Kopfhörer wie mein Mitschüler.
27. Januar 2020
