Vorübergehend ausser Betrieb
Wie es passiert ist, habe ich in meinem letzten Kolumne "Knie Heil!" ausführlich geschildert. Inzwischen bin ich wieder auf den Beinen und bin sogar zum Vierbeiner mutiert! Zwei aus Metall und eines aus Fleisch und Blut. Das vierte ist ebenfalls aus Fleisch und Blut, aber blau und aufgeschwollen, von hinten und vorne aufgeschlitzt, operiert und wieder zugenäht – sprich: vorübergehend ausser Betrieb.
So einfach, wie das klingt, ist es allerdings nicht. Ich schwinge mich zwar wacker an meinen beiden Krücken vorwärts, um eine halbe Schrittlänge weiter vorne auf dem gesunden Bein zu landen. Mit dem gebrochenen Bein darf ich allenfalls leicht den Boden antupfen, aber ja nicht belasten! Dies bei Androhung von nachteiligen Folgen wie lebenslänglichen Schmerzen bei jedem Schritt. Auch das Hinknien ist Tabu, nicht zum Schuhe binden, nicht um den Hund zu streicheln oder anzuleinen, und vermutlich – zum Glück bin ich nicht katholisch – nicht einmal zum Beten.
Daraus folgt: links eine Krücke, rechts eine Krücke und keine Hand frei! Und wie trägt man die volle Kaffeetasse von der Kaffeemaschine zum Tisch? Wie steigt man in die Jeans, und wie in die Dusche? Und wie in den Kleinwagen des netten Nachbarn der einen zur Physiotherapie fährt? Und wie schlägt man, einbeinig am Herd stehend, ein Ei auf und in die Pfanne und nicht daneben? Zum Glück gibt es einen Mahlzeitendienst, der mir jeden Tag eine fixfertige warme Mahlzeit anliefert.
"Das Telefon befindet sich immer
im andern Stockwerk als ich."
Bleibt der Hund, der Bewegung braucht. Zum Glück spielt er gerne mit seinem Frisbee. Also werfe ich diesen, so weit wie das einbeinig möglich ist, ins Feld hinaus, er rennt hinterher, vergisst dann allerdings meistens auf halber Strecke, wozu er losgerannt ist, weil ihn verlockende Düfte ablenken. Ach ja, gestern wurde Mist ausgefahren! Ich ahne Schreckliches, denn mein Hund liebt nichts so sehr, wie sich darin – es darf auch "Gülle" sein – zu wälzen. Und dies mit Inbrunst und Leidenschaft.
Irgendwo habe ich gelesen, dass "Leidenschaft" nicht nur etwas Beglückendes ist, sondern auch etwas sein kann, das – der Name sagt es – Leiden schafft. Das kann ich jetzt, auch wenn es orthografisch nicht ganz lupenrein ist, voll und ganz unterschreiben, nachdem ich mein kleines Ferkelhündchen auf einem Bein stehend im Waschbecken mit einer Bürste einigermassen sauber geschrubbt habe. Das Bad sah danach aus wie ein Schweinestall. Zum Glück kam am nächsten Tag die Putzhilfe der Spitex.
Den Frisbee hat übrigens ein gnädiger Spaziergänger gefunden und ihn verdankenswerterweise über die Hecke in meinen Garten geworfen.
Dazu kommt: Autofahren streng verboten! Also gilt es, jemanden zu suchen, der dich zur Physiotherapie fährt und wieder abholt und wenn möglich inzwischen grad noch den Hund spazieren führt. Oder zur Orchesterprobe, was mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sprich Ein-und Umsteigen vom Bus in die Bahn, ein gewagtes Unternehmen wäre vor allem mit dem voluminösen, etwa acht Kilogramm schweren Instrumentenkastens am Rücken. (Im nächsten Leben spiele ich Triangel, statt Fagott!)
Ich lebe auf zwei Stockwerken. Es scheint ein Naturgesetz zu sein: Immer dann, wenn das Telefon klingelt, befindet sich der Hörer im anderen Stockwerk als ich – immerhin, man soll ja immer das Gute sehen, habe ich vom vielen Treppensteigen schon zünftige Oberarmmuskeln zugelegt.
Das Hündchen? Das hat sich schnell daran gewöhnt, allein auf die Pirsch zu gehen. Endlich kann es sich ungestört im frisch ausgebrachten Stallmist wälzen während ich, wenn es das Wetter zulässt, am Gartentisch sitze und vorbeispazierende Freunde und Nachbarn zum Kaffee lade. Sie bieten mir dafür in verdankenwerter Weise an, für mich einzukaufen, den Hund auszuführen, mich in die Therapie zu chauffieren oder den Garten zu pflegen.
Und zwischendurch bleibt Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel darüber, wie andere allein lebende Menschen in meiner Situation in irgendeiner Hochhauswohnung sitzen, fernab von Natur und Begegnungen mit anderen Menschen, und warten, dass die Zeit verstreicht. Dann geht mir auf, wie gut es mir eigentlich geht.
31. März 2014