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                Müssen ihr Raubwild selbst abtransportieren: Gefangene Wilderer in der Serengeti
                
                
                Das Wild im Würgegriff der Wilderer
                
Eine Reportage - nicht nur aus Afrika: Die Wilderei treibt die letzten frei lebenden Tiere in den Untergang
                
                
                Von Ruedi Suter
                
                
                
                Weltweit wird hemmungslos gewildert. Trotz grossen Schutzanstrengungen fallen immer mehr Wildtiere der unaufhaltsam vorrückenden Menschheit zum Opfer. Dabei spielen nicht nur Armut und Hunger eine Rolle. Ausschlaggebend sind auch menschliche Fresslust, Gewinnsucht und Geltungsdrang. OnlineReports begleitete eine Ranger-Patrouille.
                
                Es sind Geier, die den Tod verraten. Bucklig warten sie an diesem Morgen auf den  Akazien des Galeriewaldes. Als die Wildhüter näher schleichen, flattern die  Aasfresser schwerfällig davon. Am Boden liegt ein Tier, ein totenstarres Gnu.  Die Geier haben ihm bereits ein Auge ausgepickt, aus der Höhle drückt Blut,  Tropfen um Tropfen auf die sonnengebackene Erde der Serengeti, dem berühmtesten  Wildpark Afrikas. Um den eingeschnittenen Hals wird die zusammengezogene  Schlinge sichtbar. Straff führt sie zum Baum, an dem sie solide befestigt wurde.  Von Wilderern. Das Tier ist auf dem schmalen Wechsel zum Wasser direkt in die  auf Kopfhöhe befestigte Schlaufe geraten. Aber das Gnu, das den mörderischen  Würgemechanismus einer Schlinge nicht kennt, versuchte weiterzukommen. Der Draht  zog sich zu. 
Was folgt, ist zumeist ein über Stunden währender  Todeskampf: Das Tier wird von Panik ergriffen, es zerrt, reisst und stemmt sich  mit seinem ganzen Gewicht gegen den arglistigen Feind. Doch dieser würgt nur um  so stärker. Die Antilope ist verloren. Irgendwann verlassen das Tier die Kräfte,  es fällt um, röchelnd, zuckend - erdrosselt. Abertausende afrikanischer  Wildtiere - vom Löwen über die Giraffe bis zum Strauss - werden jedes Jahr durch  Drahtschlingen stranguliert. 
Qualvoller Schlingentod
Die  wenigen Tiere, die sich befreien können, sind meistens schwer verletzt. Das  Metall schneidet bis auf die Knochen, muss fortan wie ein Geschwür mit  herumgeschleppt werden, bis zu jenem Tag, wo das geschwächte Schlingenopfer  jämmerlich zugrunde geht. Oder aufgefressen wird. Die Wildhüter durchsuchen das  Waldstück, stossen auf neue, fliegenumschwärmte Kadaver, auf Holz- und  Dornenhindernisse, welche die durstigen Tiere in die Fallen umleiten und auf  Dutzende noch intakt gespannter Schlaufen.
Wo aber sind die mit Bögen,  Giftpfeilen und Gewehren bewaffneten Wilderer? Sie haben offensichtlich Lunte  gerochen, sonst hätten sie im Schutze der Nacht die Beute geholt. Hätten die  noch lebenden Tiere getötet und die Kadaver zerschnitten, hätten bis zu 40 Kilo  Fleisch geschultert und es in Einerkolonne mit kurzschrittigem Schlurftrab in  ein Buschversteck oder ausserhalb des Nationalparks in Sicherheit gebracht.  Nächstes Ziel von Rangerkorporal Jackson Mfimbeka und seinem Trupp ist es nun,  die Gegend nach Buschverstecken abzusuchen. 
Ohne Wildhüter hätte es  überhaupt keine Tiere mehr im vergleichsweise gut geschützten  Serengeti-Ökosystem. Aber auch mit den Rangern wurde das Standwild in vielen  Gebieten dieses Ökosystems bereits arg dezimiert. Oder stellenweise gar  ausgerottet, wie beispielsweise die Elefanten und Nashörner. Büffel, Löwen und  Geparden sind nun ebenfalls vom Verschwinden bedroht. 
Beruhigte  Wilderei-Szene in der Schweiz
Die Wilderei, das verbotene Jagen und  Fangen von Wild, bedroht die letzten freilebenden Tiere nicht nur auf dem  Wildkontinent Schwarzafrika. Sie grassiert überall, auf allen Kontinenten,  selbst in der Schweiz, wo Tierarten wie Bären und Wölfe längst ausgerottet  wurden. Ebenso der Luchs, der jetzt wieder eine schüchterne Rückkehr feiert -  und prompt wieder von Luchsgegnern gewildert wird. Doch sonst schlagen  Wildfrevler hierzulande seltener zu. "Für unser Wild ist die Wilderei heute  keine echte Gefahr mehr", sagt Wendelin Fuchs, Sekretär des Dachverbands  Schweizer Jagdverbände. Man müsse aber mit einer Dunkelziffer rechnen, da  Wildereifälle "vielfach nur zufällig aufgeklärt" würden. 
Schweizer  Wildhüter finden hin und wieder tote Rehe, Hirsche, Gemsen oder Steinböcke,  denen die begehrten Köpfe mit dem Gehörn abgeschnitten wurden.  "Wohlstandswilderei" nennt Wendelin Fuchs dieses Verbrechen. Dessen Bestrafung  ist Sache der Kantone. "Es werden nur noch selten Fälle gemeldet", versichert in  Graubünden, dem grössten Jagdkanton, Jagd- und Fischereiinspektor Hannes Jenny.  Dennoch sei man wachsam, vor allem den Landesgrenzen entlang. Sicher ist aber,  dass um die Jahrhundertwende und bis zum Zweiten Weltkrieg in Helvetiens Wäldern  noch stark gewildert wurde - zum Stopfen der Mäuler armer Familien.  
Im Hungerfall wird Wild gejagt
Die Wilderei aus Hunger und  Armut nimmt heute in Asien, Südamerika und Afrika zu. Je mehr Menschen, desto  mehr Nahrungsnot - und Wildtod. Obwohl am ehesten nachvollziehbar, beschleunigt  gerade die "Armutswilderei" die Ausrottung des Wildes. Dies belegt eine neue  Untersuchung der WWF-Organisation "Traffic", die im südlichen Afrika den Handel  mit Wildtieren beobachtet. Die Erkenntnisse sind alarmierend: Abertausende von  Wildtieren werden verzehrt - angefangen bei den Insekten über Vögel bis hin zu  Nagetieren und Säuger wie Antilopen, Büffel und Elefanten. 
Da  beispielsweise in bestimmten Gegenden Afrikas grösseres Wild schon verschwunden  ist, werden jetzt bereits auch Zebras, Flusspferde und immer kleinere Tiere als  "Buschfleisch" gewildert. Dies vor allem während Dürren, schlechten  Wirtschaftszeiten, Kriegen oder Hungersnöten, wo die Bevölkerung auf die - rasch  schwindenden - "Wildreserven" zurückgreift. Fazit des Traffic-Experten Bob  Barnett: Die Situation der Menschen wirkt sich immer auch auf das Wild aus. Wo  Menschen genügend Eiweiss zu essen haben, habe auch das Wild grössere  Überlebenschancen. 
Die Wilderei hat viele Gesichter
Dies  stimmt, aber nur bedingt. In asiatischen Ländern wie beispielsweise China, Japan  und Thailand, die keinen Hunger, dafür eine reichhaltige Küche kennen, gibt es  praktisch kein Wild mehr. Schuld daran sind nicht nur der oft fehlende  Wildschutz und die Bevölkerungsexplosion, sondern die pure Lust am Vertilgen von  allem, was da kreucht und fleucht. Das hemmungslose Essen von Tieren ist aber  ebenso bei uns oder in anderen Weltregionen zu beobachten. Entsprechend werden  auch die Meere und Gewässer leergewildert, wobei hier noch schönfärberisch von  einer "legalisierten Ernte" die Rede ist. 
Die Wilderei hat eben viele  Gesichter. Das niederträchtigste ist das der weltweit praktizierten  Trophäen-Wilderei. Menschen töten Wild, um grosse Geschäfte zu machen oder um  Statussymbole zu erwerben. Tiger, Nashörner, Bären, Löwen, Elefanten, Krokodile,  Leoparden, Fische, Riesenschlangen, Jaguare, Menschenaffen, Schildkröten und  viele andere wild lebende und oft bereits bedrohte Tiere müssen dafür ihr Leben  lassen. Je nach Art und Weltregion werden ihre Felle, Organe, Hörner, Zähne und  Klauen in klingende Münze umgesetzt und als Heilmittel, Kleidung und Schmuck  verkauft. Zunehmend gewildert werden aber auch Eier oder lebende Tiere wie  Vögel, Reptilien, Nager und Schildkröten, die in Zoohandlungen, Häusern und  Wohnungen für ihr restliches Leben weggesperrt werden.
Geraubte  Seele
Klar, dass im wildreichen Afrika sämtliche Varianten vorkommen.  Hier gilt die Wilderei im grossen Stil als eine Folge der europäischen  Kolonisation. Und als das Ergebnis einer gespaltenen Geisteshaltung, die alles  nichtmenschliche Leben diskriminiert, das Tier als Ware betrachtet, ihm keine  Rechte zugesteht und umbringt. Anderseits aber auch versucht, das Tier mit  Reservaten und Schutzbestimmungen vor Missbrauch, Misshandlung und Ausrottung zu  schützen. 
Die weissen Grosswildjäger und Siedler schossen alles ab, was  ihnen vor die Flinte geriet. Gleichzeitig erklärten sie traditionelle Jäger- und  Sammlervölker, die sich seit Menschengedenken vom Wild ernährten, zu  "Wilderern". Ausgerechnet jene also, die das Wild als seelenverwandte Wesen  empfanden, das zur Welteinheit gehörte und nur aus Notwendigkeit getötet wurde.  Doch wie das Wild sind auch diese Völker fast verschwunden. Heute werden sie von  Staatsbeamten und den Nachzüglern der Kolonisatoren, Freizeitjägern aus Europa,  USA und arabischen Ländern ihres Wildes beraubt.
Bei der  Trophäen-Wilderei mischen viele mit
Die Wilderei auf dem Schwarzen  Kontinent zeigt exemplarisch auf, dass Trophäen-Wilderer häufig auf Befehl eines  kaum durchschaubaren Netzes von Beamten, Händlern, Diplomaten und international  operierenden Organisationen handeln. Die Wildererbanden können bestens  ausgerüstet sein. Zur Massakrierung der Elefanten (Elfenbein), Nashörner (Horn)  und Raubkatzen (Felle) verfügen sie oft über Geländefahrzeuge, modernste  Kommunikationsmittel, Präzisions- und Schnellfeuergewehre, Nachtsichtgeräte,  viel Geld - und damit auch gute Beziehungen zur lokalen Bevölkerung, die ihnen  gegen Bares den Aufenthalt der Tiere verrät.
Trophäen-Wilderer dieses  Kalibers gelten als besonders rücksichtslos und schiesswütig. Technisch sind sie  den vielfach schlecht ausgerüsteten Wildhütern weit überlegen. Ihre Existenz  verdanken sie vor allem den Asiaten (rund 70 Prozent des Elfenbeins landet in  Japan), aber auch den Konsumenten im Westen. Denn ohne internationalen Markt  könnten die Trophäen-Wilderer keine Geschäfte machen. 
Auch  Fleischwilderei kann einträglich sein
Einmal abgesehen von den  Gelegenheitswilderern wird das Wild von den Fleisch-Wilderern bedroht. Diese  verkaufen - zumeist im Auftrag reicher Hintermänner - das gewilderte und in den  Buschverstecken sonnengetrocknete Wild- oder Fischfleisch auf den Märkten der  Dörfer und Städte. Sie sind mehr regional organisiert. Die in der Regel armen  Menschen an der Front im Busch jagen, je nach Region, mit Gewehren, Giftpfeilen,  Netzen, Fallgruben und Drahtschlingen. Solchen Leuten ist jetzt Korporal  Mfimbekas Truppe auf der Spur. 
Die sieben Serengeti-Wildhüter beginnen  mit der Suche nach der "Hauptstrasse", einem breiten, von unzähligen Gängen  niedergetretenen Graspfad. Auf diesem transportieren Wilderer, oft monatelang  unentdeckt, ihre Beute ins Hauptlager. Die Luft flimmert, die Spannung schärft  jeden Sinn, kein Laut, ausser dem Schwirren der zudringlichen Fliegen.  
Sturm auf den Busch-Schlachthof
Plötzlich gehen die Männer  in die Hocke: Vorne, im wirren Halblicht des Buschwerks, bewegen sich Männer.  Die Ranger entsichern die Gewehre und greifen sofort an. Sie stürmen ins  Versteck und setzen den blitzartig abhauenden Wilderern nach. Zwei werden  eingeholt und zu Boden geworfen, zwei weitere entkommen, sie rennen mitten durch  das mit nagellangen Dornen gespickte Dickicht. 
Das schattige Camp  gleicht einem Schlachthof. In den Ästen, auf dem Boden und draussen im Gras an  der Sonne - überall Antilopenfleisch. In Stücke oder Lappen geschnitten, frisch  und rot. Oder getrocknet und schwarz. Über dem Camp hängt der schwere Geruch von  Blut, obwohl es beinahe leer ist. In der letzten Nacht wurde das meiste Fleisch  zu Fuss weggetragen. Eine schwere, aber gut bezahlte Arbeit in einem Land, wo  ein Arbeitsplatz Seltenheitswert hat. Nur schon für ein Gnu zahlen die  Auftraggeber das Doppelte dessen, was ein Wildhüter in einem Monat an Sold  einstreicht. 
Doch die zerlumpten Sünder, die jetzt etlichen  Gefängnisjahren entgegensehen, erregen unvermittelt auch Mitgefühl. Zumindest  aus ihrer Sicht und vielfach auch aus jener ihrer Familien und Dörfer ist das  Wild lediglich ein Mittel zum Überleben. Es sind vor allem die reichen  Drahtzieher, wohlgetarnt wie alle grossen Verbrecher, die mit der Wilderei ihre  enormen Gewinne machen. So stellen sich zwei Fragen: Wird das wilde Tier dem  sich unaufhaltsam vermehrenden Menschen ohne Verantwortungsgefühl bald endgültig  zu weichen haben? Und der Mensch - wird er am Ende auch noch sich selbst weichen  müssen? 
                15. Februar 2001
                
                
                
                
                    
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