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Basel erlebt seine bisher grösste Kurden-Demonstration
Geschätzte 5'000 Kurden und Kurdinnen protestierten heute in einem friedlichen Demonstrationszug gegen den Terror des "Islamischen Staates" (IS), die passive Haltung der Türkei, die Unterdrückung der Frauen – und für einen Kurdenstaat.
Basel, 11. Oktober 2014
Zuvorderst schreiten Kurdinnen jeden Alters und mit freien Haaren. Sie halten ein vielsagendes Transparent gespannt: "Hand in Hand gegen Isis – Solidarität mit Kurdistan". Kurdistan ist ein Traum. Das kurdische Volk ist vor bald hundert Jahren von den Europäern in vier Staaten aufgeteilt worden. Seither träumen die Kurden zum Ärger dieser Staaten ihren Traum von einem eigenen Staat mit der Rot-Weiss-Grün-Flagge und der Sonne im Zentrum.
Und nun, da die Terrormilizen des IS ihren "Gottesstaat" zu realisieren versuchen, rücken die gegen 30 Millionen Kurden und Kurdinnen in den Ländern Irak, Türkei, Syrien und Iran zusammen. Das ist besonders stark spürbar, heute Samstagnachmittag, als der Demonstrationszug um 16 Uhr auf dem Messeplatz startet und sich geordnet in Richtung Barfüsserplatz bewegt. Noch nie hat Basel derart viele Kurden und Kurdinnen aus den verschiedensten Ländern gemeinsam für Freiheit und Menschenrechte marschieren sehen. Was sofort auffällt: Es hat fast keine Einheimische, aber besonders viele junge kurdische Menschen – und auffallend viele Frauen, voller Stolz und Selbstbewusstsein.
Kobane in den Köpfen aller
"Stoppt den Terror!" wird skandiert. "Terrorist - Isis!" oder "Kurdistan, Kurdistan!", unterstrichen vom Trillern der Frauen. Die Töne gelten vor allem jenen Brüdern und Schwestern, die sich gerade jetzt und seit mehr als drei Wochen in der syrischen Grenzstadt Kobane mit nun letzter Kraft gegen die ungleich besser ausgerüsteten IS-Kämpfer und ihre Selbstmord-Attentäter zur Wehr setzen.
Die Welt schaut vor allem zu, wie zuvor schon, als im Nordirak Hunderttausende jesidischer und christlicher Kurden vom IS mit Massakern in die Flucht getrieben wurden. Diese Bilder haben sich in den Köpfen der Demonstrierenden festgesetzt. Und wohl auch in den Fernseh-Erinnerungen der Passanten und Passantinnen, die dem Protestmarsch mit zuvor bei kurdischen Demonstrationen selten beobachteter Aufmerksamkeit zuschauen. Weil geahnt wird, dass der IS-Terror gegen das kurdische Volk rasch auch zu unserem Problem werden könnte?
Protest gegen Frauendiskriminierung
"Barbarei mordet die Welt", steht auf einem Plakat. Es ist bei weitem nicht das einzige: "Save Kobane"; "Wir fordern einen autonomen Vielvölkerstaat für den Schutz von Assyrern, Aramäern und Kurden"; "Widerstand gegen IS und frauenverachtende Männerbanden weltweit!"; "Erdogan ISIS-Terrorist", "Hilfe unterlassen, bedeutet IS-Terror akzeptieren", "Stoppt die Massenvergewaltigung von Frauen und Kindern." Auch das Porträt des gefangenen PKK-Gründers Abdullah "Apo" Öcalans wird als Fahnensujet geschwungen; zwei ältere Kurdinnen tragen grosse Fotos ermordeter Verwandten.
Auf den verteilten Zetteln stehen die Forderungen der vielleicht 30'000 in der Schweiz lebenden Kurden an den Westen: "Stopp dem heuchlerischen Umgang mit der Terror-Türkei unter Erdogan und ein klares Zeichen gegen einen erneuten Völkermord an Assyrer/Aramäer und Kurden; Verbot des IS/ISIS in ganz Europa; Hilfe in Form von militärischer und humanitärer Unterstützung für Kurden und Assyrer/Aramäer im Nahen Osten". Auf einem anderen Flugblatt werden "alle Frauen weltweit" aufgefordert, sich gegen den IS zu vereinen, da dieser sogar Märkte für Sklavinnen aufgebaut habe.
"Irgend etwas gegen die Ohnmacht machen"
Die Organisatoren führen den Zug straff, die Demonstrierenden halten sich diszipliniert an ihre Anweisungen. "Wir können doch nicht einfach zuschauen, was in Kobane geschieht. Ich bin hier, um irgendwie etwas gegen meine Ohnmacht zu machen", begründet eine Studentin ihr Mitmarschieren. Nach der Mittleren Brücke biegt der Protestzug Richtung Grandhotel "Les Trois Rois" ab, wo ein nervöser Autofahrer vergebens versucht, seinen schwarzen Mercedes in Sicherheit zu bringen. Ist auch nicht nötig. Von der Polizei ist nichts zu sehen, obwohl sie bereit steht. Ebenfalls nichts zu sehen ist von Angreifern aus der Salafisten-Szene, wie Zeitungen am Vortrag befürchtet hatten.
Als die Spitze der Demonstrierenden am Barfüsserplatz ankommt, beginnt es zu regnen. Die Ansprachen werden trotzdem gehalten. Aus der Basler Politszene melden sich Martin Flückiger ("Basta"), Grossrätin Sarah Wyss (SP) und Brigitte Hollinger, Präsidentin der SP Basel-Stadt, zu Wort. Sie erklären sich solidarisch mit den Anliegen der Kurden und Kurdinnen. Die Leute harren unter ihren Schirmen aus, hören zu oder sprechen miteinander. Dann, gegen 18 Uhr, können die Trams wieder über den Barfüsserplatz rollen. Die meisten machen sich auf den Heimweg. Für ihren Traum werden sie auch in Zukunft wieder auf die Strasse gehen. Auch wenn das ferne und doch so nahe Kobane demnächst fallen sollte.
Weiterführende Links:
- Höchste Zeit: Die Kurden brauchen einen eigenen Staat
- Schweizer Staatsschützer auf der falschen Spur
- Rollkommando stürmte von Basel unterstützte Wäscherei in Van
- 20 Jahre nach Giftgas-Angriff: Halabja-Opfer in Not
- Das Giftgas machte Halabja zum Hiroshima des Mittleren Ostens
- "Von der Iran-Krise zum Weltkrieg ist es nicht weit"
- Öcalans mögliche Hinrichtung: Drohung mit und Warnung vor Gewalt in Basel
- Vom Umgang mit Massenprotesten im Zeitalter der widerspruchsfreien Politik
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- Dank Schweizer Elektronik heulten Saddams Sirenen

"Ein Fluch"
Es ist ja schon ein Fluch, dass dieses Volk erleiden muss, seit vor hundert Jahren der Mittlere Osten "aufgeteilt" wurde. Aber man darf die Engländer nicht dafür verantwortlich machen, denn solange sie als Weltmacht ihrem Prinzip "divide and rule" huldigen konnten, hielten sie die Balance, indem sie in jedem Land ihren Einfluss hatten und jeder Staat meinte, sie seien die nächsten Freunde Britannias! Aber es klappte.
Erst mit dem Untergang des englischen Reiches durch den 2. Weltkrieg, und vor allem durch den naiven und unglaublich falschen Einfluss der USA, kamen die Probleme. Und dann natürlich der McCarthyismus, wo nur jeder Staatsführer beweisen musste, dass er alle Feinde als Kommunisten betrachte, um von Amerika unterstützt zu werden.
Der Islam war ja immer gespalten und in verschiedene Gruppen aufgeteilt, die sich nicht mochten, aber der Hass, der heute zum Töten und Vernichten führt, ist neu. Man frägt sich, wie die verschiedenen Fanatiker so stark werden konnten.
Hans Buser, Sissach
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