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                "Einsatz lohnt sich": Waldindianer auf gerodetem Boden
                
                
                Und plötzlich standen die Waldindianer da
                
Die Region Basel setzt sich in Paraguays Chaco für die letzten Waldindianer ein
                
                
                Von Charlotte Gerber
                
                
                
                Sie hatten noch nie ihren riesigen Wald verlassen. Doch im Frühling fassten die Indianer Mut und traten aus dem Chaco-Urwald Paraguays heraus: Eine Gruppe Ayoreo-Totobiegosode nahm mit Verwandten Kontakt auf, die 1986 gewaltsam aus dem Busch geholt wurden und heute nur dank Hilfe aus der Region Basel überleben können.
                
                Es war am 3. März: Porai, der Clanführer der Totobiegosode-Indianer, besichtigte  bei der neu errichteten Siedlung Chaidi mit einem Traktorunternehmer gerade den  Aushub eines Tümpels, als die beiden von vier Männern überrascht wurden. Es  waren Indianer, die sich aus dem Schatten des Urwalds lösten. Seit Tagen hatten  sie die Arbeiten für das Wasserreservoir beobachtet. Erst als sie sicher waren,  dass sie es tatsächlich mit ihren Verwandten um Führer Porai zu tun hatten,  kamen sie heraus und riefen diese mit ihren Namen an. Schon am nächsten Tag  holten die Männer ihre Frauen und Kinder ins Dorf, insgesamt 17 Personen.
Das Aussergewöhnliche an diesem Ereignis ist das friedliche und freudige  Wiedersehen der Verwandten nach 20 Jahren. Denn 1986 wurde die noch freilebende  Totobiegosode-Gemeinschaft gewaltsam kontaktiert. Die fundamentalistische  amerikanische New Tribes Mission drang in den Urwald und lockte die Indigenen  heraus. Sie wurden auseinander gerissen, eine Gruppe in die Missionsstation  verfrachtet. Friedlich ist das Ereignis vom 3. März auch im Vergleich zu  früheren gewaltsamen Kontaktierungen von Totobiegosodegruppen in den ziebziger  und achtziger Jahren verlaufen. Damals brachen aufgrund der Einmischung der  christlichen Fundamentalisten unter den Indianern Familienfehden aus. Dabei  verloren viele Menschen ihr Leben.
Schützenhilfe aus der Region  Basel
Dass die jüngste Familien-Wiedervereinigung im fernen Chaco so  glücklich verlaufen konnte, hat mit der Region Basel zu tun. Das Land, auf dem  sich die Familien trafen, gehört heute den Totobiegosode. Dies aber nur deshalb,  weil es vom Baselbieter "Verein zur Unterstützung indianischer Landforderungen  im paraguayischen Chaco" und dier von ihm gegründeten Stiftung für indianische  Gemeinschaften in Paraguay gekauft und sichergestellt werden konnte. Mit Spenden  von Stiftungen und Privaten, aber auch aus dem Lotteriefonds der beiden Basel  kaufte der Baselbieter Verein mit Sitz in Ramlinsburg im Chaco Land zurück, das  in den siebziger Jahren während des Kalten Krieges von Deutschen gekauft wurde.  Unter dem Stroessner-Regime galt das anti-kommunistische Paraguay als sicherer  Hort vor einem atomaren Schlagabtausch.
Dass sich eine Gruppe der noch  freilebenden Urwaldindianer erstmals für die Suche nach ihren Verwandten, die  Cojnone ("die mit den Weissen leben"), entschied, hatte nach ihren Angaben mit  dem Wassermangel zu tun. Denn viele ihrer traditionellen Wasserstellen  versiegten durch die lang anhaltende Trockenheit. Andere wurden von Siedlern für  ihr Vieh besetzt. Aber auch die Sorge über die zunehmende Zerstörung des Waldes  trieb sie aus dem Busch. Mit riesigen Bulldozern roden brasilianische  Grossgrundbesitzer und mennonitische Siedler ohne jede Rücksicht auf Ureinwohner  und Wild den Trockenwald, um Viehherden Platz zu machen oder neues Ackerland zu  gewinnen. Damit wird die Lebensgrundlage der Indianer und auch die nachhaltige  Waldnutzung zerstört.
Glück statt Krankheit und  Verelendung
Das grösste Glück ist jedoch, dass diese Begegnung auf  eigenem Land geschehen konnte: Die neue Familiengruppe kann nun gemeinsam mit  ihren Verwandten in einem Dörfchen im Wald siedeln, ohne ganz auf ihre gewohnte  Lebensweise verzichten zu müssen. Denn selbst das Hinterland ist wenigstens zu  einem Teil gesichert. Bei früheren Kontaktierungen war das noch anders gewesen:  Missionare nahmen die Menschen auf ihre Missionsstation mit und siedelten sie  dort an. Von dort aus verdingten sie sich später als Landarbeiter. Dabei wurde  der Grossteil krank und versank in Alkoholproblemen und Verelendung.  
Auch Krankheiten sind bis jetzt keine ausgebrochen — dank der  rechtzeitigen Abschirmung vor Neugierigen, Medien und skurpellosen  Geschäftemachern. Die staatlich unabhängige Hilfsorganisation GAT (Grupo de  Apoyo a los Totobiegosode) wusste sehr früh die paraguayische Staatsanwaltschaft  einzuschalten. Diese setzte sofort eine Spezialkommission sowie eine  Begleitgruppe ein und verordnete die Quarantäne. So sind die Neuankömmlinge vor  den lebensgefährlichen Krankheiten wie Grippen geschützt, wie sie früher jeweils  aus dem Wald aufgetauchte Indianer ereilten und oft töteten.
Waldkauf  für die Indianer
Auch Rolf Scheibler, der Präsident des Vereins für  indianische Landforderungen, durfte sich bei seinem kürzlichen Besuch nur aus  200 Metern Distanz an der neuen Gemeinschaft freuen. "Der neue Fall zeigt sehr  deutlich, dass sich der Einsatz des Baselbieter Vereins und seiner  paraguayischen Partner-Organisation GAT lohnt", erklärt Rolf Scheibler gegenüber   OnlineReports. Die Unterstützung der Landforderung ist  wichtiger denn je. Denn noch sind nicht alle Parzellen, die der Verein kaufen  will, finanziert. Die Totobiegosode haben in einem Gespräch Rolf Scheibler  dringend um weitere Unterstützung gebeten.
OnlineReports. Die Unterstützung der Landforderung ist  wichtiger denn je. Denn noch sind nicht alle Parzellen, die der Verein kaufen  will, finanziert. Die Totobiegosode haben in einem Gespräch Rolf Scheibler  dringend um weitere Unterstützung gebeten.
Das Stück Land , das der  Baselbieter Verein zurückkaufen will, umfasst rund 28'000 Hektaren. Es ist Teil  einer Landforderung von etwa 550'000 Hektaren, die die Totobiegosode 1992  gestellt hatten. Damals verlangten sie zum ersten Mal die Rückgabe ihres  traditionellen Territoriums. Auf diesem Land besteht ein vom Staat gesetzlich  festgelegtes Verkaufs- und Veränderungsverbot. Doch Holzkonzerne und  Grossgrundbesitzer schlagen in Nacht- und Nebel-Aktionen immer wieder mit  riesigen Maschinen Schneisen in die zusammenhängenden Waldabschnitte. Damit  schaffen sie, oft unter den Augen korrupter Beamter, neue Tatsachen. Den  indigenen Völkern Paraguays ist aber per Verfassung Land zugesichert. Dieses  einzufordern, ist indes ein langwieriger Kampf, dessen Verlauf und Erfolg auch  von den jeweiligen politischen Machtkonstellationen  abhängt.
Grossgrundbesitzer und Sekten bodigen den  Indianerwald
Die kontrollierte und unkontrollierte Waldzerstörung  schreitet stetig voran. 2001 betrug die abgeholzte Fläche im Gebiet der  Totobiegosode bereits 105'000 Hektaren, 1997 waren es noch 35'000 Hektaren. Es  sind brasilianische Grossgrundbesitzer und die Moon-Sekte, die dort im grossen  Stil investieren. Im zentralen Chaco liegen auch drei deutschsprachige Kolonien  der Mennoniten, die ab 1930 als protestantische Glaubensflüchtlinge aus Russland  einwanderten. Immer grösser werden heute ihre Farmen, immer mehr Trockenwald  verschwindet für künstliche Viehweiden, und immer mehr Ackerfelder entstehen für  Erdnüsse, Baumwolle, Rizinus, Sesam oder Sorghum.
Die Abholzung verändert  das bestehende Oekosystem in radikaler Weise. Der Verlust der Biodiversität  bringt eine erhöhte Anfälligkeit für Schädlinge, es entstehen Winderosionen. Der  Wasserverlust durch Verdunstung begünstigt die Bodenverdichtungen, selbst Flüsse  und Lagunen trocknen aus. Ausserdem wird eine beunruhigende Versalzung des  Bodens wie auch des Grundwassers festgestellt.
Es wird zudem befürchtet,  dass wertvolle Hartholzarten, wie Quebracho und Palo Santo durch den  unkontrollierten Export, etwa nach Brasilien, USA oder Taiwan, aussterben  könnten. Laut einer Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Technische  Zusammenarbeit (GDZ) sind es im Chaco nicht die Armen, die die grössten  Umweltweltbelastungen verursachen, wie vielfach argumentiert wird: Es sind zu 95  Prozent die Grossgrundbesitzer und die expandierenden Grossfarmer in den  mennonitischen Siedlungen. Indigene und Campesinos können kaum Umweltschäden  anrichten, weil sie wenig Land besitzen und keine Mittel haben, um es intensiv  zu nutzen.
Vom Waldschutz können alle profitieren  
Nachhaltige Waldnutzung ist Waldschutz - und die Totobiegosode  machen es vor. Sie zeigen mit ihrer Lebensweise, wie man Land nutzen kann, ohne  es zu zerstören. Weil sie vom Wald leben, erhalten sie ihn auch. Sie jagen  Schildkröten, Wildschweine, Gürteltiere und sammeln Palmherzen, Früchte, Beeren  und Honig. Ausserdem finden sie dort das Material, mit dem sie ihre  Gebrauchsgegenstände herstellen. In den Lichtungen mit den sandigen Böden legen  sie Gemüsegärten an. Aber die Voraussetzung für diese Lebensweise ist ein  grosses Gebiet. Denn nur so werden die natürlichen Ressourcen nicht  überstrapaziert, weil es genügend Zeit zur Regeneration gibt. Deshalb auch die  Grösse der Landforderung von 550'000 Hektaren Wald, was für Schweizer  Verhältnisse unvorstellbar viel ist. 
Der Waldschutz käme auch der  lokalen Bevölkerung zu Gute, argumentiert die Baselbieter Ethnologin Verena Regehr, die im Chaco lebende  Fürsprecherin der Totobiegosode. Als Mitglied der GAT schrieb sie in der  Lokalzeitung "Menno": "Wird ein Teil des ursprünglichen Lebensraums der  Totobiegosode geschützt, wird damit gleichzeitig auch für die gesamte  Chaco-Bevölkerung ein grosses Waldgebiet mit Lagunen, Flüssen und Palmen vor der  brasilianischen Invasion und der schonungslosen Abholzung  bewahrt".
Eine Grundlage für den Zusammenhalt
Der  Baselbieter Unterstützungs-Verein und die von ihm gegründete Stiftung wollen  sich weiterhin engagieren. Denn eigenes Land bietet indianischen Gemeinschaften  eine Lebensbasis, und sie ist die Grundlage für ihren Zusammenhalt. Sie erhalten  Perspektiven, die ihre Lebensbedingungen innerhalb der paraguayischen  Gesellschaft langfristig verbessern, davon ist Rolf Scheibler  überzeugt.
Die indianische Gemeinschaft, die heute in Chaidi auf dem  bereits zurückgekauften Land lebt, deckt ihren Lebensunterhalt mit Jagen und  Sammeln und mit ihren Gärten. Das benötigte Bargeld können sie sich durch  gelegentliche Lohnarbeit auf Farmen und den Verkauf von Honig und  kunsthandwerklichen Produkten verdienen. Damit wird versucht, ihnen wenigstens  eine sanfte Anpassung an das neue Leben auch ausserhalb ihres bedrohten Waldes  zu ermöglichen.
                23. November 2004
                
                
                
                
                    
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                TOTOBIEGOSODE
                cg. Die paraguayischen Totobiegosode gehören zu den einst mächtigen  Ayoreode-Indigenen, von denen ein Teil auch im bolivianischen Chaco-Urwald  beheimatet ist. Insgesamt sind es ungefähr 4'500 Menschen. Im paraguayischen  Chaco sind es etwa 2'000, die sich in verschiedene Lokalgruppen aufteilen, eine  Gruppe sind die Totobiegosode. Die Gruppen sind in Familien-Clans aufgeteilt, es  gibt auch Feindschaften untereinander.
Ihr traditionelles Wohngebiet  erstreckte sich früher über fast drei Millionen Hektaren Wald, heute fordern sie  nur ein Teilstück im Osten zurück. Dort gibt es Trockenbusch, Savannen und  Palmenwälder. Von allen Chaco-Völkern haben die Ayoreode am längsten der  Herrschaft der kolonisierenden Gesellschaft widerstehen können.
Die meist  feindlichen Kontakte reichen bis in die dreissiger Jahre des vergangenen  Jahrhunderts zurück. Erst wurden sie von Firmen überfallen, die das Tanin des  Quebracho-Baumes ausbeuteten. Dann kamen jene, die nach Erdöl suchten. Heute  sind es die Grossgrundbesitzer mit ihrer Viehzucht. Die Ureinwohner reagierten  meist mit Gewalt auf Überfälle der bewaffneten Weissen. Mit Lanzen und Keulen  und schwarz bemalt standen sie ihnen gegenüber. Sie wurden deshalb "Moro"  genannt. Sie zu jagen, galt als Heldentat bei den Weissen, und Soldaten konnten  sich durch das Töten eines Ayoreo ihre vorzeitige Entlassung aus dem  Militärdienst erwirken.
Darauf kamen die Missionare, erst die  katholischen, dann auch die evangelischen, die die Ayoreos auch schon mal im  Interesse des paraguayischen Staates bekehren, befrieden und sesshaft machen  wollten. Der Staat war am Land interessiert: Er konnte es ausländischen  Investoren anbieten, die Landspekulation blühte auf. Die Siedlungen für die  Indigenen legten die Missionare übrigens in die Nähe der Wirtschaftszentren des  Chacos, also weit weg von ihrem traditionellen Lebensraum. Noch heute lebt im  Innern des Chaco eine letzte Gruppe von Totobiegosode, die sich bis jetzt der  Kontaktsuche entziehen konnte. Doch ihr Territorium wird immer kleiner.