Basler Staatsangestellte müssen kräftig bluten
Arbeitgeber und Begünstigte sollen die milliardentiefe Deckungslücke in der Basler Pensionskasse gemeinsam schliessen. Dies sieht das Sanierungskonzept vor, das der Verwaltungsrat der Pensionskasse Basel-Stadt vorschlägt. Bei den Gewerkschaften regt sich Widerstand.
Basel, 4. Mai 2009
Kaum war die Revision der Basler Pensionskasse unter Dach und Fach, tat sich im Gefolge Wirtschafts- und Aktienmarktkrise eine neuen Lücke von 1,38 Millarden Franken auf. Dies entspricht einem Deckungsgrad von 85 Prozent – 10 Prozent weniger als die Limite, deren Unterschreitung laut Gesetz Sanierungsmassnahen erfordert.
"Angesichts der Höhe der Unterdeckung, der unsicheren Wirtschaftsentwicklung und der volatilen Finanzmärkte" erachtet es der Verwaltungsrat "als nicht zu verantworten und nicht als realistische Option, jetzt einzig auf die Erholung der Weltbörsen zu setzen", wie er heute Montag in einem Communiqué mitteilt: Um bei einem Deckungsgrad von 85 Prozent ohne Sanierungsmassnahmen innerhalb von zehn Jahren wieder 100 Prozent zu erreichen, "wäre eine durchschnittliche Rendite von zirka 6 Prozent notwendig".
Langjährige Abstriche beim Teuerungsausgleich
Darum beschloss der paritätisch besetzte Verwaltungsrat am 30. April ein Vier-Punkte-Programm:
• Der Kanton Basel-Stadt schliesst die per Ende 2009 bestehende Deckungsluücke durch eine Einmaleinlage. Die Amortisation dieser so entstandenen Schuld erfolgt paritätisch durch Arbeitgeber und Destinatäre.
• Die Belastung der Aktiven und der Rentenb eziehenden entspricht ihrem jeweiligen Anteil am Deckungskapital (Aktive 40%; Rentner 60%).
• Zur Amortisation der hälftigen Deckungslücke leisten die Staatsangestellten zusätzlich zum Teuerungsverzicht der Ausfinanzierung auf den 1. Januar letzten Jahres einen weiteren Lohn- bzw. Teuerungsverzicht von wiederkehrend 1 Prozent. Gleichzeitig wird der Beitrag des Staates an den Teuerungsfonds der Rentnerinnen und Rentner um 2.4 Prozent der versicherten Lohnsumme reduziert. Dies bedeutet, dass noch 0,1 Prozent der versicherten Lohnsumme in den Teuerungsfonds fliessen, also so gut wie kein Teuerungsausgleich mehr ausgerichtet werden kann. Bei einer Deckungsluücke von 85,4 Prozent (Bereich Staat) dauert diese Massnahme bis zur vollständigen Amortisation 19 Jahre.
• Härteklausel für Renterinnen und Rent ner: Der Pensionskasse-Verwaltungsrat beantragt dem Regierungsrat, diese Amortisation gegebenenfalls verlängern zu dürfen und mit den Mitteln aus dem Lohnverzicht der Aktiven während ein bis zwei Jahren den Teuerungsfonds der Rentnerinnen und Rentner zu äufnen, um die Teuerung von Renten auszugleichen, deren Kaufkraft um mehr als 20 Prozent abgenommen hat. Dies ändert nichts an der Gesamtsumme, welche die Aktiven zu erbringen haben.
Gesetzesänderungen nötig
Neben dieser sogenannten indirekten Sanierung prüfte der Verwaltungsrat auch Varianten einer "direkten Finanzierung". Diese Varianten wurden waber verworfen, da sie wegen der maximal 10-jährigen Sanierungsdauer zu hohe Sanierungsbeiträge des Kantons wie der Arbeitnehmenden erfordert hätten.
Da der jetzt präsentierte Vorschlag eine Änderung des Lohngesetzes und des Pensionskassen-Gesetzes erforderlich macht, übersteigt er die Kompetenzen des Verwaltungsrates. Er erhoffe sich die Zustimmung sowohl des Regierungsrats als auch des Grossen Rates zu diesem Sanierungskonzept.
Gewerkschaften weisen Vorschläge zurück
Mit dem Sanierungskonzuept gar nicht anfreunden kann sich die Gewerkschaft VPOD. Sie weist eine Beteiligung der Versicherten am Füllen dieser Deckungslücke vehement zurück. Gegen den Widerstand des VPOD sei die Pensionskasse per ausfinanziert und die Staatsgarantie abgeschafft worden. Das gesamte Deckungskapital sei "den Finanzmärkten ausgesetzt", wobei 1,2 Millarden Franken "verscherbelt" worden seien. Schon nach einem Jahr habe sich gezeigt, "dass das Teilumlageverfahren mit einem Zieldeckungsgrad weit geringere Risiken birgt als die volle Ausfinanzierung", wie es die Gewerkschaft gefordert hatte.
Bereits bei dieser ersten Ausfinanzierung hätten die Versicherten bluten müssen – das Personal mit einem Lohnprozent und die Pensionierten mit einem auf 0,5 Prozent beschränkten Teuerungsausgleich. Ein erneuter Abbau der Kaufkraft von rund 34'000 Versicherten sei "in der derzeitigen Wirtschaftskrise völlig kontraproduktiv".
Die Arbeitgeberseite m Verwaltungsrat und die Regierung seien "nicht bereit, die Verantwortung, die sie mit der Staatsgarantie auf der nicht real vorhandenen Wertschwankungsreserve haben, wahrzunehmen". Der VPOD fordert das Einschiessen der Wertschwankungsreserve. Nach aktuellen Berechnungen betrage sie einen Betrag in der Grössenordnung der aktuellen Deckungslücke.
Die Arbeitsgemeinschaft baselstädtischer Staatspersonalverbände weist das Sanierungskonzept des Verwaltungsrates zurück. Dass das Kantonspersonal erneut ein Lohnprozent bezahlen müsse und den Pensionierten ein Kaufkraftverlust von 20 Prozent zugemutet werde, sei "unhaltbar". Die Arbeitsgemeinschaft fordert, "dass jetzt zuerst die Staatsgarantie auf der Wertschwankungsreserve realisiert wird, bevor über eine paritätische Sanierung eines allfälligen Restbetrags diskutiert wird".
Höhere Beteiligung der Staatsangestellten gefordert
Die fünf bürgerlichen Parteien SVP, FDP, Liberale, CVP und Grünliberale halten den Vorschlag des Verwaltungsrates für "nicht paritätisch". Der Beitrag der aktiven Angestellten des Kantons sei im Vergleich zu jenem von Staat und Rentnern aber "viel zu gering".
Die normale und üblicherweise in erster Linie ins Auge gefasste Massnahme sei die "Erhebung von Sanierungsbeiträgen". Als Alternative könnte auch ein "individueller Verzicht auf die Verzinsung des Vorsorgeguthabens in einem gewissen Umfang" geprüft werden. Diese Massnahme wäre – im Gegensatz zum Teuerungsausgleichs-Verzicht auf dem laufenden Lohn – konjunkturverträglich. Sie hätte für den einzelnen Versicherten zur Folge, dass im Zeitpunkt der Pensionierung ein etwas geringerer individueller Rentenanspruch bestehen würde. Im Hinblick auf den "nach wie vor sehr guten Rentenplan" der Basler Pensionskasse müsse "diese Konsequenz in Kauf genommen werden können".
Geprüft werden müsse ausserdem, "ob es tatsächlich nötig ist, dass der Staat mit seiner Vorschussleistung sofort die gesamte Deckungslücke schliesst, oder ob es nicht sinnvoller wäre, den Kapitaleinschuss zeitlich gestaffelt vorzunehmen".
SP steht hinter Sanierungs-Variante
Die Basler SP steht hinter dem Sanierungsvorschlag und weist die bürgerlichen Forderungen als "unqualifiziert" zurück. Die SP "begrüsst ausdrücklich, dass der Kanton die Ausfinanzierung jetzt vornimmt und damit ermöglicht, die Sanierungsfristen für Arbeitnehmende und Arbeitgeber von den gesetzlich vorgeschriebenen 10 auf 19 Jahre zu verlängern". Damit könnten unnötige Opfer der Versicherten, aber auch der Steuerzahlenden vermieden werden, wenn sich die Börse wieder erholt.

"Die Dinge beim Namen nennen"
Herr Scheurer, weshalb haben Sie Probleme, die Dinge beim Namen zu nennen? Basel-Stadt wies pro 2008 einen Personalaufwand von 1,63 Milliarden Franken aus. Bei rund 17'500 Vollstellen kostet uns private Steuerzahler (natürliche, juristische Personen) ein Staatsangestellter im Mittel mehr als 90'000 Franken brutto pro Jahr, inklusive Steuerkredit – also den von im Kanton Basel-Stadt respektive im grenznahen Ausland ansässigen Arbeitnehmern dem Arbeitgeber innert im Mittel maximal zwölf Monaten retournierten Steuern – und Sozialleistungen (AHV, ALV, EO, IV, fakultative Familienzulage und 20 bis 25 Prozent Pensionskassenbeiträge).
Patric C. Friedlin, Basel
"Dem schlechten Geld wieder gutes nachwerfen?"
Jahrelang war es Praxis, dass der Deckungsgrad von öffentlich-rechtlichen Pensionskassen unter 100 Prozent liegen darf. Grund ist die Perennität, also der sichere Fortbestand des Staates und damit die ständige Beschäftigung von Mitarbeitern. Eine Unterdeckung bis zu 30 Prozent war üblich, es war eine Mischform von Kapitaldeckungs- und Umlageverfahren. So wurden Arbeitgeberbeiträge nicht einbezahlt, die Deckungslücke nicht voll verzinst. Im Jahre 2002 gingen durch fahrlässige Spekulationen bei den Aktien 1,2 Milliarden Franken verloren. Auf den 1. Juni 2005 wurde die Pensionskasse Basel-Stadt ohne Schwankungsreserve in die Eigenständigkeit entlassen. Trotz mehrjähriger Börsenhausse wurde es jetzt verpasst, Gewinne mitzunehmen. Mit hohem Aktienanteil rasselte die Pensionskasse nun in den Crash und verlor wieder mehr als 1 Milliarde Franken. Wie momentan viele kleine Finanzinstitute, wird die Bank Wegelin & Co. von Kundengeldern überschwemmt. Für Teilhaber Konrad Hummler ist die Allokation dieser Investmentbeträge unheimlich schwierig. Soll die Pensionskasse Basel-Stadt also dem schlechten Geld nun wieder gutes nachwerfen?
Otto Kunz-Torres, Basel
"Bis 2 Prozent Lohnverzicht während 20 Jahren"
Wer bei den Begriffen "VPOD" und "Staat" in geistigen Stupor verfällt, dem ist natürlich mit Worten nicht zu helfen. Für alle anderen – hoffentlich noch immer die Mehrheit der Baslerinnen und Basler – jedoch der folgende Hinweis: Die grosse Mehrheit der rund 17'000 Basler Staatsangestellten gehört mit einem 100-Prozent-Jahreslohn von 50'000 bis 70'000 ins bescheidene Mittelfeld und wird die Pensionskasse-Sanierung, so wie sie der Verwaltungsrat nun vorschlägt, während 20 Jahren absehbar mit bis zu 2 Prozent Lohnverzicht oder, wenn er/sie bereits Rente bezieht, mit dem Verzicht auf die Teuerung bezahlen.
Matthias Scheurer, Basel
"Huronengebrüll des VPOD"
Mir kommen die Tränen vor Rührung, wenn ich lese, dass der VPOD "vehement" eine Mitbeteiligung der noch Staatsangestellten und Rentner zur Sanierung der Pensionskasse ablehnt. Die Staatsangestellten in Basel zählen eher zu den Gutverdienenden, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Mit Fug und Recht kann von dieser Branche eine Mitbeteiligung zur Sanierung der Pensionskasse verlangt werden. Andere Kassen mit ähnlicher Unterdeckung müssen auch bluten, mit Leistungsabbau und Prämienerhöhung, hier kräht kein Hahn danach. In diesen finanziell schweren Zeiten mit zunehmnder Arbeitslosigkeit ist die dreiste Haltung des VPOD völlig unverständlich. Hoffentlich lässt sich Frau Herzog vom Huronengebrüll des VPOD nicht beeindrucken und zieht die dringend nötige Sanierung ohne Abstriche durch.
Eric Cerf, Basel
"Kasse garantiert zu hohe Leistungen"
Der Titel dieser Berichterstattung ist wohl ironischer Intention. Das Problem, das die staatliche Kasse hatte, hat und, wie zu befürchten steht, haben wird, ist: Sie garantiert den Staatsangestellten als Lohnbestandteil Leistungen, die bloss mittels einer völlig utopischen Rendite von 4,6 Prozent pro Jahr finanzierbar sind. Dadurch ist die Kasse periodisch technisch Pleite, weist also eine "Unterdeckung" auf. Was nicht Geringeres als ein Bilanzfehlbetrag, also eine Überschuldung ist. Wenn die Basler Politik nicht zum Mut findet, das Problem kausal zu lösen, sind wir Steuerzahler wohl rund fünf Jahre gezwungen, den überdimensionierten Staat mit zwischen einer und zwei Milliarden Franken zu stützen.
Patric C. Friedlin, Basel
|