Erpresser frei gelassen: Justiz attackiert Haftrichter Albrecht
Basel, 16. Mai 2009
Ungewöhnlich scharf greift die Basler Staatsanwaltschaft unter Thomas Hug den Haftrichter und Strafgerichtspräsidenten Peter Albrecht in einem Communiqué öffentlich an. Grund ist die am Montag von Albrecht angeordnete Freilassung eines Jugoslawen, der vergangenen Freitag in einer Basler Telefonzelle verhaftet worden war, nachdem er mehrfach einen Luzerner Geschäftsmann über 10'000 Franken erpresst hatte.
Obschon das Umfeld des klar identifizierten, aber nicht geständigen "Delinquenten" (so die Staatsanwaltschaft) noch nicht abgeklärt war und wahrscheinlich Mittäter im Spiel gewesen seien, sei er durch Albrecht aus der U-Haft entlassen worden, schreibt Sprecher Markus Melzl zum Fall, der dem Vernehmen nach von Staatsanwalt Beat Voser geleitet wird. Für Haftrichter Albrecht sei die Kollusionsgefahr "nicht ersichtlich" gewesen, obschon hinlänglich bekannt sei, dass vor allem Gewalttäter aus dem osteuropäischen Raum mögliche Zeugen und Tatbeteiligte einschüchtern und alles unternehmen, um einer Verurteilung zu entgehen".
Das Communiqué der Staatsanwaltschaft gipfelt in der Feststellung, "dass der erwähnte Haftrichter einmal mehr die Freiheitsrechte eines Delinquenten ohne gesetzliche Notwendigkeit über die offensichtlichen Interessen der Allgemeinheit gestellt hat".
Gegenüber OnlineReports erklärte der weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannte Professor Peter Albrecht, schon der von der Staatsanwaltschaft benutzte Begriff "Delinquent" sei "etwas verräterisch": An die Unschuldsvermutung, die er relativ streng begreife, habe sich auch die Staatsanwaltschaft zu halten. "Seltsam und rechtsstaatlich problematisch" sei ihr Versuch, "via Öffentlichkeitsarbeit Druck auf die Haftrichter-Praxis auszuüben". Dies sei nicht sein erster Konfliktfall, doch sei die Staatsanwaltschaft auf seine wiederholt geäusserte Gesprächsbereitschaft bisher nie eingetreten. Insofern sei der jetzige Vorwurf für ihn "nicht überraschend" gekommen.
Scharf reagierte auch der Basler SP-Grossrat Peter Aebersold: In einer Interpellation wirft der Strafrechtler der Staatsanwaltschaft Amtgeheimnis-Verletzung und eine Verletzung der Loyalitätspflicht vor. DerAngriff auf Albrecht werfe "schon wieder ein schiefes Licht auf die Basler Staatsanwaltschaft".
"Haft als selbstzerstörerisches Mittel"
Die Staatsanwaltschaft vergisst, wo sie im Rechtsstaat steht. Sie ist Partei wie der Angeklagte. Der Richter entscheidet. So einfach ist das. Bisher haben zu viele Haftrichter ihr Amt als reine Systemvollstrecker verstanden und der Staatsanwaltschaft gedient und die Grundrechte des Angeschuldigten verletzt. Die Haft ist das zerstörerischste Mittel des Staates - ausser Folter und Todesstrafe. Mit Haft kann man selbst Beamte weichkochen, schon nach wenigen Tagen. Davon wissen die Betroffenen ein Liedlein zu singen! Haftbefreiung ist nicht Straffreiheit, übrigens!
Peter Zihlmann, Rechtsanwalt, Basel
"Absolut deplatziert"
Über den konkreten Fall kann ich mich mangels Aktenkenntnis natürlich nicht äussern. Das Verhalten des Ersten Staatsanwalts Hug scheint mir aber äusserst problematisch. Prof. Albrecht ist ein weit über die Kantonsgrenzen bekannter und geschätzter Strafgerichtspräsident, der sich seinen Entscheid sicher nicht einfach gemacht hat. Vor allem ist er aber ein vom Volk in dieses Amt gewählter Gerichtspräsident und ich halte es für absolut deplatziert, wenn ihn die Staatsanwaltschaft nun via Medien angreift.
Patrick Wagner, Rechtsanwalt, Stein/AG und Rheinfelden
"Problematisch und latent rassistisch"
Unabhängig vom konkreten Fall halte ich die öffentliche Attacke der Staatsanwaltschaft gegen den Haftrichter Albrecht für rechtsstaatlich problematisch und unangebracht. In einem Haftprüfungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft wie der Beschuldgte lediglich Partei. Die Zeiten, in denen sie die Haft gleich selbst anordnen konnte, sind zum Glück vorbei. Ganz offensichtlich bekundet die Staatsanwaltschaft grösste Mühe mit diesem EMRK-konformen Verfahren, in welchem eine unabhängige Instanz die Haft überprüft, welche sich von den Strafverfolgungsbehörden nicht instrumentalisieren lässt. Übrigens: In diesem Verfahrensstadium kann sicher nicht von einem "Delinquenten" gesprochen werden; insofern ist bereits die Wortwahl der Staatsanwaltschaft entlarvend. Problematisch ist auch die Begründung im konkreten Fall, wonach ganz generell "Gewalttäter aus dem osteuropäischen Raum mögliche Zeugen und Tatbeteiligte einschüchtern" würden. Wer seinen Antrag nach Anordnung von Untersuchungshaft mit einem Pauschalurteil gegen eine bestimmte Volksgruppe begründet, handelt latent rassistisch. Natürlich ist eine solche Begründung auch rechtlich untauglich, weshalb ich den Entscheid von Herrn Albrecht gut nachvollziehen kann.
Urs Knecht, Jurist, Einwohnerrat FGL, Liestal
"Dem Ansehen der Justiz abträglich"
Jetzt scheint es bald an der Zeit, die Querelen innerhalb der Gerichtsorganisation zu bereinigen. Von dort wurden doch schon mal (oder waren es mehrere Male?) unrühmliche und wohl auch sehr persönliche interne Differenzen in den öffentlichen Raum getragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das dem Funktionieren der Justiz oder ihrem (unerlässlichen) Ansehen förderlich ist.
Thomas Notter, Rechtsanwalt, Bern