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Eine Überraschung kündigt sich an: Julian Eicke
Eine kleine Überraschung der National- und Ständeratswahlen in Basel-Stadt dürfte schon feststehen: Die Stimmenzahl des politisch unbekannten jungfreisinnigen Ständerats-Kandidaten Julian Eicke (24).
Basel, 16. Oktober 2015
Für die Besetzung des Basler Ständerats-Mandats stehen drei Bewerbungen zur Auswahl: Die seit zwölf Jahren als Ständerätin amtierende Sozialdemokratin Anita Fetz, der grünliberale Kantonalpräsident David Wüest-Rudin und der jungfreisinnige Julian Eicke.
Grosse Favoritin ist die 58-jährige Historikerin Anita Fetz. Wenn immer sie zur Wahl antritt, geht im bürgerlichen Lager das Zittern los: Die linke Politikerin, die schon während acht Jahren im Nationalrat sass, ist in Majorzwahlen nicht zu schlagen. Sie gilt, wie damals die Poch-Nationalrätin Ruth Mascarin, als Stimmenwunder, das auch in der politischen Mitte absahnt.
Das mussten vor acht Jahren schon der liberale Andreas Albrecht und vor vier Jahren SVP-Präsident Sebastian Frehner und FDP-Präsident Daniel Stolz erfahren: Fetz marschierte im ersten Wahlgang durch. Ihre Konkurrenten scheiterten kläglich.
Peinlich für bürgerliche Parteien
Verständlich, dass die bürgerlichen Parteien dieses Jahr allergrösste Mühe bekundeten, Kandidaten zu finden (Kandidatinnen schon gar nicht), die sich auf einen Kampf mit der Sozialdemokratin einlassen wollten. Einzig der liberale Erziehungsdirektor Christoph Eymann, der auch für den Nationalrat kandidiert, wäre bereit gewesen, ihr die Stirn zu bieten – unter der Voraussetzung allerdings, dass er auf die geschlossene Unterstützung aller nicht-linken Parteien zählen kann.
Dies scheiterte aber an Absagen aus traditionellen bürgerlichen Parteien, die fürchteten, dass Doppel-Kandidat Eymann zuviel Publizität erhielte und die Wiederwahl ihrer eigenen Nationalräte gefährden könnte. Da befreiten die Jungfreisinnigen die vereinigten bürgerlichen Parteien von der Peinlichkeit, Fetz keine Gegenkandidatur präsentieren zu können, und zauberten Julian Eicke "als frische und unverbrauchte Kraft" (Selbsteinschätzung) aus dem Hut.
Eicke gut für Hochachtungserfolg?
Der Name des 24-jährigen Jus-Studenten war bestenfalls Lesern der "Basler Zeitung" als freier Mitarbeiter des Lokalteils bekannt, auf der politischen Bühne aber war er ein Unbekannter. Gemessen an seinem bei Null liegenden politischen Leistungsausweis kann seine Kandidatur als Jux-Bewerbung betrachtet werden. Doch er erhielt freudigen Support von sämtlichen bürgerlichen Jung- und Stammparteien. Selbst der Arbeitgeberverband legt sich für den Jung-Politiker ins Zeug, auch wenn seine Wahlchancen "äusserst gering" seien, wie Arbeitgeberpräsident Marc Jaquet noch im August meinte.
Wir teilen Jaquets Auffassung nur zur Hälfte. Eicke wird nicht gewählt werden – aber auch keineswegs bodenlos in der Versenkung verschwinden. Viel wahrscheinlicher ist, dass er am Wochenende ein überraschend gutes Ergebnis erzielen und möglicherweise deutlich von dem in der Polit-Szene bekannten und etablierten GLP-Chef Wüest-Rudin landen wird.
Der Grund ist einfach: Das bürgerliche Basel, das sich mit den Grünliberalen immer wieder schwer tut, wird mit Eicke ein Verzweiflungs-Zeichen gegen die Kapitulation vor der Links-Kandidatur setzen und ihm die Stimme geben – im Bewusstsein, dass er die Basler SP-Vorherrschaft in der Ständerats-Vertretung nicht wird brechen und auch kaum einen zweiten Wahlgang wird erzwingen können.
Eymann möchte Comeback
Ob es auch in den Wahlen um die fünf Basler Nationalratssitze zu Überraschungen kommen wird, ist offen. Auf der Liste der LDP/Liberalen versucht Christoph Eymann sein Comeback in den Nationalrat, dem er vor seiner Wahl in die Kantonsregierung schon angehörte. Eymann ist einer der profiliertesten Köpfe liberalen Geistes im Stadtstaat. Ausserdem verfügt er als Präsident der Schweizerischen Erziehungsdirektoren-Konferenz bereits über Beziehungen zur Bundeshaus-Gilde. Aber der SVP ist er zu liberal, den Freisinnigen zu sehr Konkurrent.
Auch das Grüne Bündnis, das einen sehr engagierten Wahlkampf führt, drängt nach Bern. Es will den Sitz der vor vier Jahren abgewählten Anita Lachenmeier zurückerobern. Zu den Favoriten gehören Mirjam Ballmer, Thomas Grossenbacher und Sibel Arslan. Auf wessen Kosten ein Sitzgewinn der Liberalen, die eine Listenverbindung mit den Freisinnigen eingegangen sind, oder des Grünen Bündnisses (Listenverbindung mit der SP) ginge, ist einfach zu sagen: Auf Kosten eines der beiden amtierenden Nationalräte Markus Lehmann (CVP) oder Daniel Stolz (FDP). Sie beide führen mit Grund einen relativ aufwändigen Wahlkampf. Aber offensichtlich wackeln ihre Sitze nicht.
Keine Sorgen für SP und SVP
Eher entspannt darf die SP dem Wochenende entgegen blicken: Ihre beiden Bisherigen Silvia Schenker und Beat Jans können mit einer Wiederwahl rechnen. Betrieb an der SP-Wahlkampf-Front herrscht unter den übrigen Kandidierenden, weil Silvia Schenker im Verlauf ihrer vierten Amtsperiode vermutlich zurücktreten und ihren Sitz einem oder einer Nachrückenden überlassen wird. Eine der aufwärts Drängenden ist die Basler Grossrätin und frühere Juso-Präsidentin Sarah Wyss.
Dem Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner haben wir schon bei früherer Gelegenheit zur Wiederwahl vorausgratuliert. Wir bleiben dabei: Die Attacke, die die "Basler Zeitung" wegen unsauberem Verhalten bei seiner Doppelkanddatur vor vier Jahren gegen ihn führte, nützte Frehner. So kam sein Name – als Nationalrat sehr Vorstoss-aktiv, aber eher unscheinbar – gleich zu Beginn des Wahlkampfs ins Gerede.

"Grünliberale können Lehmann-Sitz erobern"
Leider wird von OnlineReports unterschlagen, dass es eigentlich die Grünliberalen sind, welche die grössten Chancen haben, den Sitz von Lehmann zu erobern, Basis Zahlen 2011. Sie lagen vor vier Jahren nur 0,7 Prozent hinter der CVP. Schon leichte Wählerverschiebungen in der Listenverbindung der Mitte bringen den Grünliberalen den Sitz. Die Chancen der Grünen, dass sie über die Grenzen der Listenverbindung hinweg den Sitz machen, sind demgegenüber viel kleiner. Zudem erstaunlich die Einschätzung, dass Eymann den FDP Sitz holen könnte. Dazu müsste seine Partei, die LDP, etwa 50 Prozent mehr Stimmen machen als noch vor vier Jahren, um die FDP zu überholen. Das ist doch extrem unwahrscheinlich.
Karl Linder, Basel
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