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Insbesondere in den ländlichen Teilen des Baselbiets sind Bedenken verbreitet.
Energiegesetz Baselland: Die Politik muss näher an die Bevölkerung
Die Baselbieterinnen und Baselbieter sind bereit, für den Klimaschutz Geld auszugeben. Trotzdem verlangt das Abstimmungsresultat nach einer Kurskorrektur. Der Kommentar.
Von Jan Amsler
Dass die Baselbieter Stimmbevölkerung das neue Energiegesetz gutgeheissen hat, kommt schon fast überraschend. Die Kampagne der Gegnerinnen und Gegner war nicht nur allgegenwärtig, sondern hat in bestimmten Punkten auch verfangen. Jetzt muss die Politik dafür sorgen, dass der Rückhalt für die Klimaschutz-Politik weiter wächst. 54,30 Prozent sagen Ja zur Vorlage. Das ist auf den ersten Blick zwar ein komfortables Mehr. Doch bedenkt man, dass von den Parteien nur die SVP dagegen war und die Befürworterinnen und Befürworter stets den breiten und viel diskutierten Kompromiss betont haben, kann man mit dem Resultat nicht zufrieden sein. Von einer "eindeutigen Mehrheit", wie das Ja-Komitee in einem Communiqué festhält, kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein. Regierung und Landrat haben die Bevölkerung schlecht repräsentiert. Gelangt im Nachbarkanton Basel-Stadt ein Kompromiss zur Abstimmung, fallen die Resultate jeweils anders aus. Das Steuerpaket erzielte im März 2023 eine Zustimmung von 84,4 Prozent. Ein paar Monate zuvor hatte die Basler Bevölkerung mit 64,10 Prozent die Klimaneutralität bis 2037 gutgeheissen.
Das Nein-Komitee muss die Initiative, die das Dekret aufheben will, zurückziehen.
Auch die Baselbieter Bevölkerung zeigt Bereitschaft, in den Klimaschutz zu investieren. Die demokratische Legitimation ist gegeben, dass die Regierung das zum Gesetz gehörende Dekret im Herbst guten Gewissens in Kraft setzen kann – sofern das Gericht, das noch über eine Beschwerde berät, dagegen nichts einzuwenden hat. Gleichzeitig muss das Nein-Komitee die Initiative, die das Dekret aufheben will, zurückziehen. Die Gegnerinnen und Gegner haben die Abstimmung selbst zu einer Abstimmung über das Dekret hochstilisiert, indem sie auch auf die Photovoltaik-Pflicht und die Pflicht zum Ersatz fossil betriebener Heizungen abzielten. Jetzt an der Initiative festzuhalten, ist inkonsequent – und vor allem wenig erfolgversprechend.
Die Bedenken gilt es ernstzunehmen.
Was das Nein-Komitee mit SVP- und FDP-Politikerinnen und -Politikern, Wirtschaftskammer und Hauseigentümerverband jedoch für sich beanspruchen kann: Das Ja zum Energiegesetz ist ein Ja, das zur Behutsamkeit verpflichtet. Insbesondere in den ländlichen Teilen des Kantons sind Ängste vor hohen und ungewissen Kosten verbreitet. Diese Bedenken gilt es ernstzunehmen, statt sie – wie in den ersten Reaktionen geschehen – bloss auf die "Angst-Kampagne" der Gegner zu reduzieren. Bei den weiteren Schritten sind die Kostenfolgen genau zu benennen. Es sind Lösungen auszuarbeiten für Hausbesitzerinnen und -besitzer, die sich eine Photovoltaik-Anlage oder eine energetische Sanierung nicht leisten können. Das Gesetz sieht zwar keine Sanierungspflicht vor. Aber wie, wenn nicht durch Sanierungen, soll die Zielgrösse von 40 Kilowattstunden Heizenergie pro Quadratmeter und Jahr erreicht werden? Wichtig ist auch, den Preis dafür gegenüberzustellen, nichts für den Klimaschutz zu tun. Was kosten Massnahmen, um ein Wohnhaus, den Schulplatz, das Fussballfeld gegen die Hitze auszustatten? Wie viele Gesundheitskosten sind den Hitzewellen geschuldet? Was macht der Klimawandel mit unserem Lebensraum, und wie viel Geld muss aufgewendet werden, um Schäden im Kulturland vorzubeugen oder zu beseitigen? Mit einer transparenten und ehrlichen Kommunikation kann die Politik es schaffen, das Bekenntnis der Bevölkerung zum Klimaschutz zu festigen und auszubauen.
9. Juni 2024
Weiterführende Links:

"Behutsamkeit heisst nicht verschieben, verzögern ..."
Behutsamkeit ist aber nicht gleichzusetzen mit verschieben, verzögern, hinhalten, aufschieben, geringschätzen, vertagen, vernachlässigen oder mit Einsprachen.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Nichts weniger als eine Sensation"
Der Kommentar von Jan Amsler ist für mich in weiten Teilen nicht nachvollziehbar. Die Kampagne von SVP und Wirtschaftskammer, gespickt von falschen oder irreführenden Behauptungen, hat am Sonntag nicht verfangen. Das ist nichts weniger als eine Sensation. 54 Prozent haben Ja gestimmt. Damit können Regierung und Landrat sehr zufrieden sein, denn sie haben eine glasklare Mehrheit hinter sich. Ob man Steuern senkt oder eine Pflicht für erneuerbares Heizen beim Heizungswechsel einführt (54 Prozent Ja) ist nicht dasselbe. Jan Amsler verwendet das SVP-Narrativ, wonach es nun darum gehe, "für den Klimaschutz Geld auszugeben". Dieses Wording ist völlig falsch. Niemand gibt "für Klimaschutz" Geld aus. Mit Erdöl oder Gas zu heizen, ist ja bisher nicht gratis. Das neue Gesetz verlangt die Umstellung der Heizungen auf erneuerbare Energien, wenn eine Heizungserneuerung ansteht, also einen Systemwechsel ohne finanzielle Sonderbelastung. Wärmepumpen und Photovoltaik sind inzwischen nicht mehr teurer als Öl und Gas, wenn man die vollen Betriebs- und Unterhaltskosten einrechnet und nicht nur auf die Installationskosten schaut. Die zentrale Lüge von SVP-Chef Riebli, man habe vom Erlass eines Dekrets nichts gewusst, das seit 2017 im Baselbieter Energiegesetz verankert ist, hat nicht verfangen. Das Gesetz sieht keine Zwangsausgaben vor – eine Sanierungspflicht fehlt. PV-Anlagen ersetzen Ziegel. Sparen also Ausgaben, und können kostendeckend betrieben werden. Sonst würden in der Schweiz nicht wöchentlich 1500 Neuanlagen in Betrieb gehen ... Bei Neubauten liegt der Energieverbrauch tief, weil die Technik heute weiter ist. deshalb können die kantonalen Energieziele sehr wohl erreicht werden, was Jan Amsler bezweifelt. Dass eine Mehrheit im Baselbiet 100 Prozent erneuerbare Energien will, darauf deutet auch das klare Ja zum Stromgesetz. Die Umstellung auf erneuerbare Energien erstreckt sich via Sanierung alter Heizungen über die nächsten zwei Jahrzehnte. Dies erhöht die einheimische Wertschöpfung. Das Heizungsgewerbe wird Tausende neuer Aufträge erhalten. Statt nach Russland oder in arabische Öl-Länder bleibt der Franken zu Hause. Klimaschutz ist ein Wachstumsmotor, kein Verlustgeschäft. Die Baselbieter Wirtschaftskammer kann oder will dies offensichtlich nicht verstehen. Sie hat sich einmal mehr von der Öl- und Gas-Lobby vereinnahmen (kaufen?) lassen. Damit hat sie auch die Interessen ihrer eigenen Mitglieder schwer beschädigt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist offensichtlich intelligenter als Christoph Buser und sein Verhinderer-Club. Auch für den Hauseigentümer-Verband, den man auch Erdöl-Vereinigung nennen könnte, ist das Ergebnis eine riesige Blamage. Vielleicht braucht es auch dort neue Köpfe, die etwas von Wirtschaft verstehen und erneuerbare Energien nicht ständig verhindern.
Ruedi Rechsteiner, Basel
"Wirtschaftskammer hat Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren"
Den Kommentar zum Energiegesetz finde ich prinzipiell gut. Mit der Aussage "54,30 Prozent sagen Ja zur Vorlage. Das ist auf den ersten Blick zwar ein komfortables Mehr. Doch bedenkt man, dass von den Parteien nur die SVP dagegen war und die Befürworterinnen und Befürworter stets den breiten und viel diskutierten Kompromiss betont haben, kann man mit dem Resultat nicht zufrieden sein" bin ich aber nicht ganz einverstanden. Die SVP hatte mit der Wirtschaftskammer und dem Hauseigentümerverband zwei gewichtige Player mit an Bord, die zu Hans Rudolf Gysins Zeiten und auch zu Beginn der Ära Christoph Buser Abstimmungen im Alleingang entscheiden konnten. Auch dieses Mal haben sie ihre finanziellen und personellen Muskeln spielen lassen und das erste Mal bei einem Schlüsselthema verloren. Das ist ein gutes Zeichen für die Demokratie und ein wichtiges Ereignis fürs Baselbiet: Es zeigt, dass die Wirtschaftskammer alleine keine Abstimmungen mehr gewinnen kann und ihren Nimbus der Unbesiegbarkeit verloren hat.
Thomas Tribelhorn, Präsident GLP BL, Läufelfingen
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