Moskau einfach
Ich war links. Jedenfalls aus Sicht meines Vaters, der jeweils "Moskau einfach" brummte, wenn ich mich mal wieder mit ihm über politische Themen stritt, etwa über das Frauenstimmrecht. Denn hinter dem Eisernen Vorhang mussten – aus meiner Sicht: durften – Frauen studieren, Lastwagen fahren, kurzum alles tun, was einer Tochter aus gutem Hause, wie ich es zu sein hatte, versagt blieb.
Die grösste Angst meiner Mutter war, dass ich keinen Mann abbekommen und als alte Jungfer enden würde. Bei mir hingegen löste die Vorstellung, wie ein weisses Osterei verkleidet zum Altar schreiten zu müssen, Panikattacken aus. Ich zog die unbemannte, alte Jungfer vor.
Ohne die Linke wäre ich jedenfalls am Bügelbrett gelandet, in Abhängigkeit eines Mannes, der draussen in der Welt das Geld verdient hätte. Es waren nicht die bürgerlichen Männer, die uns Frauen zum Stimm- und Wahlrecht verhalfen. Aber lassen wir das.
Die Welt war damals eine einfache: das liebe Amerika hier, Retter im zweiten Weltkrieg, Bewahrer der Freiheit gegenüber Russland. Das böse Russland dort, Kommunismus, Unterdrückung, Planwirtschaft, Vetternwirtschaft, krasse Armut bei der Bevölkerung, unglaublicher Reichtum bei den Parteibonzen.
Die Menschen wurden ausspioniert, die Bevölkerung lebte in Angst und Schrecken, der Willkür ausgeliefert. Die Mauer fiel, wir wissen, wie es weiterging: Russland wurde zur Diktatur, die Parteibonzen sind heute noch reicher, die Willkür noch grösser, das Land ist mausarm.
Europa muss sich bange fragen: Wer kommt nach der Ukraine dran?
Wie so oft wird auf innenpolitische Probleme mit einer aggressiven Aussenpolitik reagiert. Ganze Generationen junger Russinnen und Russen werden an der Front niedergemetzelt, in einem sinnlosen Krieg, der das Land noch mehr in die Armut treiben wird. Die Ukraine kämpft verbittert, verliert ebenfalls eine ganze Generation, gerade eben, an der Front. Sie will nicht vom Moloch Russland verschluckt werden, um die dortigen Parteibonzen noch reicher und sich selbst noch ärmer zu machen. Europa muss sich bange fragen: Wer kommt nach der Ukraine dran, wenn es nicht gelingt, Russland zurückzuschlagen?
Wir hätten die NATO und damit die USA, Weltmacht, top ausgerüstet, im Dauermonitoring der Geschehnisse auf dieser Welt, Garantin des Friedens. Die NATO also, aber die USA? In Amerika herrscht ein Clown. Er spielt Monopoly mit der Welt, setzt sich über alles Recht hinweg, wird von Tag zu Tag mehr zum Diktator.
"Make America great again?" Sich selbst will er "great" machen, niemanden sonst. Wie lange dies Putin mitmacht, ist fraglich. Und was dann Xi Jinping tun wird, wenn der europäische Markt ihm nicht mehr für seinen Wirtschaftsaufschwung zur Verfügung steht, das wollen wir gar nicht wissen.
Europa wird aufwachen müssen. Erwachsen werden, es muss raus aus der Komfortzone. Was heisst: Wir müssen zusammenstehen. Die europäischen Länder unter sich, die Schweiz mit der EU und den anderen Nicht-EU-Staaten. Wir werden zusammen eine europäische Aussenpolitik entwickeln müssen, so heterogen wir sind. Wir müssen uns schonungslos fragen, was die Neutralität der Schweiz heute konkret bringt, wem sie nützt und gegen wen. Als sie erfunden wurde, war sie überlebenswichtig, denn wir waren von Nationen umgeben, die gegeneinander Krieg führten: Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich.
Es entspricht aber einem menschlichen Bedürfnis, sich zu messen.
Nun sind wir nur noch von der EU umgeben. Wir werden Neutralität gegen Solidarität abwägen müssen, um unserer selbst willen. Es kann sehr riskant sein, im europäischen Kampf gegen Russland nicht mitzuspielen, wir haben unglaublich viel zu verlieren. Ob wir als Schweiz und in welchem Bereich neutral bleiben können, müssen wir europäisch abgleichen.
Links oder rechts kann kein Thema mehr sein. Die Abschaffung der Armee – "you dreamer, you". Ich bin schon lange nicht mehr links. Natürlich immer noch für die Gleichberechtigung aller Menschen. Es entspricht aber einem menschlichen Bedürfnis, sich zu messen. Wettbewerb, Wettkampf kann niemand verhindern. Wir wollen ihn, suchen ihn, gehen an Fussballspiele, sind euphorisch, wenn "unser" FCB gewinnt. Wettbewerb braucht Schranken, die Politik hat diese zu definieren und der Staat durchzusetzen.
Der Staat ist aber bloss Diener des Volkes und nie Eigenzweck. Denn wer kontrolliert den Staat, wenn er, fern jeden Wettbewerbs und jeder Kontrolle, selbst Privatwirtschaft spielt?
Wir sehen es an den beiden Despoten, die derzeit Monopoly spielen mit der Welt. Vielleicht kommt ein dritter bald dazu. Wenn Temu nicht mehr reicht. Und da ist ja noch die Bombe, die einer der Despoten zünden kann, wenn er nichts mehr zu verlieren hat. Und dem anderen den Sieg nicht gönnt.
"Moskau einfach" war verglichen damit noch eine heile Welt. Hoffen wir, dass Europa erwacht. Und mit Europa die Schweiz.
24. März 2025
"Die Schweiz – das erste Land der FriedensförderInnen!"
Liebe Frau Strahm, einmal gehe ich mit Ihrer Auffassung nicht einig. Ich konnte mich aber an der Einleitung mit der Ostereiverkleidung sehr erfreuen. Vielen Dank.
Natürlich kann man den Angriffskrieg in der Ukraine nur aus dem Moment anschauen und sich die bange Frage stellen: Wer kommt als nächstes dran? Aber ob das der Realität gerecht wird, bezweifle ich sehr!
Es wäre an der Zeit, dass sich Europa eine eigene Position zu Russland erarbeitet. Dazu brauchts Mut zum Gespräch mit dem Kremel. Wir Europäer überlassen den Dialog diesem neuen US-Präsidenten und kommen von der überheblichen, lauthalsigen diffamierenden Haltung nicht los. Die einzige Strategie, die Europa fährt, ist: Aufrüsten, aufrüsten und nochmals aufrüsten!
Wenn wir es verhindern wollen, dass einer dieser Mächtigen eine nächste Atombombe zündet, so brauchen wir dringendst Deeskalation! Ist es denn so, dass Europa militärisch unterdotiert ist? Wie sieht das militärische Kräfteverhältnis weltweit aus?
Eine Möglichkeit, die militärische Schlagkraft der verschiedenen Staaten beurteilen zu können, ist ein Blick in die Militärausgaben, obwohl es schon klar ist, dass sich diese nicht so ganz leicht miteinander vergleichen lassen. Doch grob sagen sie einiges aus: Gemäss Wikipedia, Stand 2014, stehen die USA mit 610 Milliarden USD, 3,5% des BIP, an einsamer Spitze, gefolgt von China mit 216 Milliarden USD, 2,1% des BIP. Auf Platz drei erscheint Russland mit 84,5 Milliarden, 4,5% des BIP. Frankreich und Deutschland zusammen gaben in jenem Jahr rund 100 Milliarden fürs Militär aus, was durchschnittlich 1,7% des BIP entsprach. Diese beiden Länder sind ja noch nicht Europa!
Ich kann die Sache ja auch nur aus den Schilderungen der Presse und anderen Quellen beurteilen, wie wir alle. Doch dieser ausschliessliche Weg des Aufrüstens finde ich mit Sicherheit falsch und bedenklich! Sich mit reiner Weste darzustellen und den Gegner unaufhörlich zu dämonisieren, schürt den Konflikt und schaukelt ihn in gefährliche Höhen.
Basel ist in der vornehmen Lage, ein unabhängiges Institut zu beheimaten: Swisspeace. Es analysiert bewaffnete Konflikte und entwickelt Strategien für deren nachhaltige Beilegung. Diese Fachleute könnten vielleicht auch noch etwas zum Wert und zur Chance unserer Neutralität sagen, die zunehmend in Beschuss gerät. Die Schweiz wäre bestens geeignet, als neutrales, kleines Land mitten in Europa diese Rolle der Deeskalation, der Vermittlung zu übernehmen. Wir könnten die Armee umbauen und ein Friedensheer gründen. Darin hätten auch die Frauen einen adäquaten Platz!
Damit wir nicht als Schmarotzer auftreten, könnten wir uns verpflichten, die Unterstützung und den Wiederaufbau all der vielen Konfliktgebiete weltweit in der Höhe der Verteidigungsausgaben der andern europäischen Staaten zu finanzieren und auch dort die Friedensförderung an die Hand zu nehmen.
Die Schweiz – das erste Land der FriedensförderInnen!
Viktor Krummenacher, Bottmingen
"Taifun der Wahrheit"
Auch wenn es (aber nicht genuin naturgegeben) das Übliche sein mag: Eine Demokratie, die herrschsüchtig Kranke mit Macht und Verantwortung ausstattet, kann nicht friedenstauglich sein oder werden. Das ist (und ebenso nicht naturgegeben) leider auch beispielsweise die Schule nicht, wenn sie Konkurrenz und Wettbewerb mit Rennbahnpädagogik zum Motor für das Lernen macht und damit Gewinner und Verlierer produziert.
Menschen, die – wie es die Trauma-Forschung zeigt – zum Teil ihr Leben lang darunter leiden und mitunter weder den Frieden mit sich selber noch mit anderen finden. Eine solche Verwicklung beinhaltet (wiederum bitte nicht naturgegeben) ein Muster, dem beispielsweise auch die Aufrüstung und der Ruf nach Kriegstauglichkeit entsprechen.
Vielen nicht bewusst, läuft in einem solchen Sinne auch im Hause Schweiz und vor unserer Haustür zurzeit vieles schief. Eine perspektivenlos schwierige Situation vor allem dann und deshalb, wenn und weil Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft dem Taifun der Wahrheit nicht ins Auge schauen und nicht Nein sagen wollen.
Ueli Keller, Allschwil